Melverode. Katharina Kaminski aus Melverode hat ihre Leidenschaft für Handarbeit entdeckt. Wie sich tolle Dinge selbst herstellen lassen, erzählt sie hier.

Stoffe. Überall Stoffe. In allen Farben, mit dezenten Mustern oder mit echten Hinguckern. Katharina Kaminski schaut sich in dem kleinen Braunschweiger Laden um und staunt. Sie hat ihre Schwester dorthin begleitet. Die fachsimpelt derweil mit der Verkäuferin. Sie will Kleidung für ihre beiden Kinder nähen. Inmitten der vielen Meter Stoff ist es um Katharina

Wenn sie sich an die Nähmaschine setzt, vergisst Katharina Kaminski schon mal die Zeit – und geht auch nicht ans Telefon.
Wenn sie sich an die Nähmaschine setzt, vergisst Katharina Kaminski schon mal die Zeit – und geht auch nicht ans Telefon. © Wiebke Schwarze

geschehen. Sie ist beeindruckt. Was es alles gibt. Und jedes Gewebe, das in den Regalen ruht, ist ein kleines Versprechen. „Wenn du nähen kannst, kannst du alles machen. Nähen können, ist wie zaubern können. Das kleine Stück Magie im Alltag“, sagt Katharina und ihre Augen funkeln vor Glück. Sie lächelt viel, wenn sie vom Nähen spricht.

Ein Jahr ist es her, das Katharina mit ihrer Schwester zum ersten Mal den kleinen Handarbeitsladen besucht hat. Seitdem ist das Nähen zu einer Leidenschaft geworden. Stunden verbringt sie an der Nähmaschine, hat sich im Gästezimmer eine eigene Handarbeitsecke engerichtet. Auf dem weißen Schreibtisch liegt eine dunkelgrüne, rutschfeste Auflage aus Plastik. Darauf sind eine Zentimeter-Messskala und ein Millimeter-Raster abgedruckt. Eine Schreibtischlampe und eine Stehleuchte sorgen für das richtige Licht. Damit möglichst kein Schatten schiefe Nähte provoziert. In einem weißen Regal daneben lagern, fein sortiert und ordentlich verpackt, Stoffe, Nadeln, Fäden.

An diesem Tisch ist im vergangenen Jahr in vielen Stunden Arbeit schon so einiges entstanden. Kissen für den Freund, ein Shirt für sie selber oder ein Einkaufsbeutel, der sich so klein in sich selbst zusammenfalten lässt, dass

Vor einem Jahr hat die Melveroderin das Nähen für sich entdeckt. Seitdem ist einiges entstanden. Eine Auswahl.
Vor einem Jahr hat die Melveroderin das Nähen für sich entdeckt. Seitdem ist einiges entstanden. Eine Auswahl.

er an den Schlüsselbund passte. Alles farbenfroh, mit auffälligen Mustern von Piratenflaggen bis zu Einhörnern. Und das sind nur einige der Ergebnisse. Alles sieht so aus, als sei es mühelos entstanden.

Doch der Anfang war nicht mühelos. Katharina erinnert sich: „Ich stand in diesem Laden, war total begeistert und dachte, das will ich auch können. Aber schon im nächsten Moment habe ich gezweifelt. Kann ich das überhaupt?“ Kneifen ist aber nicht ihre Sache. Also los. Ein einfaches Projekt sollte es sein, aber auch ein sinnvolles. So entstand die Idee, einen Überwurf für die Vogelvoliere im Wohnzimmer zu nähen. Die vier Sittiche haben einen prominenten Platz gegenüber dem Sofa. Ihre Voliere aus schwarzem Metallgitter ist knapp zwei Meter hoch und gut je eine Armlänge breit und tief. Dafür gibt es keine Abdeckung von der Stange. „Das gute war, ich musste dafür nur zwei lange Bahnen zusammennähen und einmal außen rum versäumen.“ Die Bahnen hatte sie passend gekauft. Das perfekte Einsteigerprojekt. Aber eines, auf das die junge Frau trotzdem immer noch ein bisschen stolz ist. Welcher Vogelkäfig wird schon abends mit einem dunklen Tuch abgedeckt, das mit bunten Vögeln verziert ist?

Kisschen, Täschchen und Pullover - alles selbstgenäht

Katharina Kaminski hat sich sogar schon an einen Kapuzenpullover gewagt.
Katharina Kaminski hat sich sogar schon an einen Kapuzenpullover gewagt.
In ihrem Arbeitszimmer hat sich die Melveroderin eine richtige Nähecke eingerichtet.
In ihrem Arbeitszimmer hat sich die Melveroderin eine richtige Nähecke eingerichtet.
Vor der Arbeit an der Nähmaschine muss Kaminski die Schnittmuster, die sie aus dem Internet heruntergeladen hat, ausschneiden und zusammenkleben.
Vor der Arbeit an der Nähmaschine muss Kaminski die Schnittmuster, die sie aus dem Internet heruntergeladen hat, ausschneiden und zusammenkleben.
Wer nähen will, braucht viele Fäden.
Wer nähen will, braucht viele Fäden.
Ein gut sortierter Arbeitsplatz macht die Arbeit leichter.
Ein gut sortierter Arbeitsplatz macht die Arbeit leichter.
Auch der Unterfaden will in der richtigen Farbe in die Maschine eingelegt werden.
Auch der Unterfaden will in der richtigen Farbe in die Maschine eingelegt werden.
Katharina Kaminskis Lieblingsteil: die selbstgenähte Punktetasche mit passendem Geldbeutel.
Katharina Kaminskis Lieblingsteil: die selbstgenähte Punktetasche mit passendem Geldbeutel.
Praktisch für die kalte Jahreszeit: Diese selbstgenähte Mütze.
Praktisch für die kalte Jahreszeit: Diese selbstgenähte Mütze.
Auch einen Pullover ohne Kapuze hat Katharina Kaminski selbstgenäht.
Auch einen Pullover ohne Kapuze hat Katharina Kaminski selbstgenäht.
Das Kuschelkissen für den Freund - natürlich selbstgemacht.
Das Kuschelkissen für den Freund - natürlich selbstgemacht.
Irgendwo hin muss die Nagellacksammlung ja - idealerweise im selbstgenähten Täschchen.
Irgendwo hin muss die Nagellacksammlung ja - idealerweise im selbstgenähten Täschchen.
Einfach für Anfänger: Eine kleine Tasche mit Innenfutter und Reißverschluss.
Einfach für Anfänger: Eine kleine Tasche mit Innenfutter und Reißverschluss.
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Danach sollte es etwas anspruchsvoller sein: ein Turnbeutel mit Kordelzug als Verschluss. „Und da hatte ich meinen ersten kleinen Nervenzusammenbruch“, sagt die Melveroderin, verdreht rückblickend die Augen und kichert wegen ihrer eigenen Unwissenheit. Der Beutel bestand aus mehreren Teilen, die erst aus dem Stoff zurechtgeschnitten werden mussten. Also schnappt sie sich ihr altes, kleines Schul-Geodreieck und fängt mit einer Zeichnung auf der weißen Rückseite des Stoffes an. „Das wurde krumm und schief, weil man natürlich mit so einem kleinen Dreieck ohne Hilfslinien nie so exakte Linien hinbekommt, wie man es müsste.“ Der rettende Tipp kam aus einem Internet-Forum: „Mach dir doch selbst ein Schnittmuster mit Kästchenpapier.“ Katharina Kaminski schlägt sich mit der flachen Hand auf die Stirn: „Ja klar, es kann so einfach sein.“

Zum Nachnähen: Hier bei Makerist.de oder bei Pech und Schwefel holt sich Katharina Kaminski ihre Inspiration. Auf ihrer Facebookseite Nadel, Faden, Feenstaub bloggt sie gemeinsam mit ihrer Schwester übers Nähen.

Von Stück zu Stück hangelt sich Katharina in ihrem neuen Hobby voran. Mit jedem neuen Projekt lernt sie einen neuen Handgriff. Inspiration holt sie sich auf Messen, in Blogs oder Internetforen.

Was treibt jemanden, der ausreichend Geld hat, um sich einfach im Laden zu kaufen, was ihm gefällt, dazu, sich stundenlang an der Nähmaschine abzurackern? „Die Sachen sind einfach mehr wert“, sagt Katharina. „Wenn ich mein selbstgenähtes Shirt anziehe, freue ich mich jedes mal wieder, das ich das gemacht habe. Klar, freut man sich auch über neue Sachen, die man im Laden kauft, aber die machen nur kurz glücklich.“ So, wie der Melveroderin geht es inzwischen vielen Menschen. Do it yourself - mach es selber, ist das Stichwort. Sie ziehen ihr eigenes Gemüse im Dachgarten und kochen es ein, bauen Möbel selbst oder stricken und nähen. Besonders viele junge Menschen fühlen sich davon angesprochen. Menschen in den Zwanzigern und Dreißigern, die in einer Welt aufgewachsen sind, in der es selbstverständlich jederzeit alles und erschwinglich zu kaufen gibt. Die sich einfach neue Handschuhe kaufen könnten, wenn einer ein Loch hat. Aber sie setzen sich hin und reparieren den alten. Oder stricken sich halt neue.

„Gerade, weil wir es nicht müssen, wollen wir es“, sagt Katharina dazu. Die Generation der Großeltern und zum Teil auch noch der Eltern habe noch Sachen selbermachen müssen. „Das nervt dann natürlich.“ Und sie wolle der Konsumgesellschaft etwas entgegensetzen. Den Trend, dass besonders Kleidung immer billiger werde, findet sie abstoßend. Der Besuch bei einem Billig-Kaufhaus in der Braunschweiger Innenstadt hat sie besonders negativ beeindruckt: „Da suchen sich Leute 20 T-Shirts aus, weil jedes nur zwei Euro kostet. Auf dem Weg zur Kasse fällt ihnen dann ein, dass sie doch nur zehn haben wollen. Dann schmeißen sie die anderen einfach auf irgendeinen Haufen oder gleich auf den Boden.“

Shoppen geht sie trotzdem noch. Den Anspruch, alles selber zu machen, hat sie nicht. „Aber ich kann jetzt die Wertigkeit vieler Dinge besser einschätzen. Wie ist der Stoff? Wie sind die Nähte?“ Und das Objekt ihrer Begierde bei Lust-Käufen hat sich etwas verschoben. Bei einem schönen Stoff kann sie kaum Nein sagen. „Das ist wie Schuhe kaufen. Bei denen geht’s ja auch nicht so darum, ob frau die braucht, da geht’s um haben wollen.“

Hier sind einige Adressen von Nähgeschäften in der Region: