Vancouver. In Kanadas Westen ist der Schnee watteweich, und die Pisten sind nahezu menschenleer. Entspannung finden Skiurlauber in Banff.

Stewart Laver nimmt morgens die Skischuhe mit ins Büro, sie stehen dort neben dem Schreibtisch. Laver arbeitet am Fuß des Sunshine-Skigebiets im Banff National Park. Geöffnet von November bis Mai. „Man muss immer bereit sein“, sagt er und lächelt. Bereit für neuen Schnee. Wenn die Flocken durch die Luft wirbeln, schnallt der 44-Jährige sofort die Bretter an: „Bei frischem Pulverschnee wirst du ein anderer Mensch.“

Das ist wohl eine zarte Übertreibung, aber wer mit Kanadiern einmal die ersten Skispuren in die Hänge gezogen hat, der bekommt eine Ahnung davon, was der Mann meint und warum ihm Sonne am Himmel nicht halb so wichtig ist wie neuer Schnee am Boden. Der trockene, weiche Schnee, den sie in den Rocky Mountains als „Champagne Powder“ adeln, staubt bei der Abfahrt links und rechts hoch, die Glückshormone melden sich bei der Wattefahrt auf dem Weg ins Tal. Es wird nicht der einzige Unterschied zu Europa bleiben, den man als Alpen-Stammgast bei einem Ski-Trip durch Kanada registriert.

„Kanada ist ein Sehnsuchtsort für Skifahrer, man will sich hier einen Traum erfüllen“, erzählt Bert Astl, der seit 15 Jahren in Banff lebt, einem rustikalen 8000-Einwohner-Städtchen im Herzen des gleichnamigen Nationalparks in der Provinz Alberta. Astl, 50 Jahre alt, ein drahtiger Urbayer
aus Rosenheim, steuert für den deutschen Ski-Spezialveranstalter Stumböck die Geschäfte vor Ort und damit auch rund 50 lokale Guides, die sich Jahr für Jahr um etwa 3000 deutsche Skifahrer kümmern. Vor allem in Banff mit seinen Skigebieten in Lake Louise, Mount Norquay und Sunshine. Aber auch in Whistler, zwei Stunden nördlich von Vancouver, wo 2010 die Olympischen Winterspiele ausgetragen wurden. Oder in anspruchsvollen Freeride-Paradiesen wie Revelstoke und Kicking Horse.

Jeder Fünfte blättert gar einige Tausender hin, um sich den Spaß mit „Heli Skiing“ zu versüßen. Wer sich alles individuell zusammenstellt, durchbricht schnell Preismauern: Tages-Skipässe kosten umgerechnet 100 Euro, der Rabatt für Wochenpässe ist winzig, Pauschalwochen inklusive Flug, Drei-Sterne-Hotel und Skiticket sind dagegen bei Veranstaltern auch im Februar/März für 1400 Euro zu haben.

Astl hat sich an die Schwärmerei der Urlauber längst gewöhnt. „Die Leute lieben vor allem, dass auf den Bergen nichts los ist“, sagt er, „man kann sich ganz auf sich selbst konzentrieren, statt auf andere achten zu müssen.“ Das ist keineswegs übertrieben, wenn sich selbst an einem Durchschnitts-samstag in Lake Louise, dem größten Skigebiet der Rockies, kaum mehr als 5000 Skifahrer auf 145 Abfahrten verteilen.

Wer seine Ellenbogen in Österreich in wirksamen Rempeltechniken trainiert hat, stellt schon beim Start fest, dass es hier nichts zu drängeln gibt. Weil es keine Schlange gibt. Stattdessen Freiwillige, die einem die Skier beim Ausstieg aus der kleinen Gondel anreichen: „Have a nice day.“

„Wir werden die Kapazitäten nicht erhöhen“, beruhigt Tourismusdirektor Jonny Bierman, „wir dürften es auch gar nicht, selbst wenn wir es wollten.“ In der Tat musste Lake Louise gar zwei Sessellifte schließen: Es war die Vorbedingung für den Bau einer neuen Gondel. Bierman: „Wir sind im ältesten Nationalpark Kanadas, einem Unesco-Welterbe, da sind die Regeln streng.“

Alberto Tomba musste

sich anstellen

Im Schneeloch Whistler, einem quirligen Retortenstädtchen mit immerhin 30 000 Hotelbetten, zahllosen kleinen Geschäften unter dem 2300 Meter hohen Mount Blackcomb und dem 2100 Meter hohen Mount Whistler, um deren Zieleinläufe sich ein paar Après-Ski-Kneipen gruppieren, mag es etwas lockerer zugehen. Und voller als in Banff ist es definitiv. Aber Hinweisschilder wie „No foul language – keine unflätige Sprache“, die man am Sessellift amüsiert zur Kenntnis nimmt, deuten an, dass die Kanadier auf der Piste um gute Manieren bemüht sind. „Wir sind freundliche Menschen, und vielleicht finden das viele Europäer so gut“, sagt Albert Neufeld, ein muskelbepackter Schweinebauer aus Calgary mit deutschen Wurzeln, der im Winter mit Touristen durch die Berge rauscht.

Als Ski-Legende Alberto Tomba sich einmal an einer Kasse vorgedrängt habe, weil er, so Bert Astl, „sich natürlich für was Besseres hielt“, habe man ihn zurückgepfiffen. „Der musste sich ordentlich entschuldigen“, erinnert sich Astl, „sonst hätten sie dem keinen Skipass gegeben.“

Pisten haben in Nordamerika Namen, und wenn sie „Think Again“, „Where’s Fred?“ oder „Wild West“ heißen, dann kommen Anfänger ins Grübeln. Tatsächlich mangelt es nicht an pechschwarzen Abfahrten wie den „Delirium Drive“ in Sunshine mit 50 Prozent Gefälle und Lawinen-Rucksackpflicht. Und weil man praktisch überall fahren darf, stürzen sich Hasardeure auch durch Waldgebiete, über felsdurchzogene Hänge und Tiefschneegebiete.

Aber weil ein Durchschnittslift die Chance auf zehn oder mehr Abfahrtsvarianten bietet, finden sich auch zahlreiche markierte Versionen, neben Buckel-(Alb)träumen auch die gespurte „Autobahn“, auf der man gemütlich und bis zu zwölf Kilometer am Stück ins Tal wedelt oder carvt. Eisfrei übrigens.

Und natürlich stecken in diesen Pistennamen Wahrheiten. Wer am „Seventh Heaven“ in Whistler steht und die benachbarten Gipfel samt eines Waldteppichs zu Füßen betrachtet, bevor er sich abwärts stürzt, der fühlt sich genau so: wie im siebten Himmel.