Geilo. Auf einem Festival in Geilo wird mit Instrumenten aus Eis gespielt – nur ein Wochenende lang.

Wenn sich der Vorhang der Nacht über dem Berg senkt, der Vollmond aufsteigt und die Arena aus Schnee in silbernes Licht taucht, kann das Spiel beginnen. Insektenhaftes Klicken ist zu hören, ein Rhythmus aus Schleifen und Schaben und Knacken, bis endlich der helle Ton eines Glockenspiels ertönt.

Eine Eisprinzessin streichelt ihre Harfe und entlockt ihr weiße Klänge. Wild streicht ein Teufelsgeiger über die Saiten seiner Fiedel. Transparente Skulpturen, gerade noch von blauen Scheinwerfern angestrahlt wie Kunstwerke, erwachen zum Leben und produzieren klingende Kälte. Dann ertönt das Eishorn, ein Ton wie das Trompeten eines leidenden Mammuts. Musik zum Dahinschmelzen. Terje Isungset kann sich tagelang damit aufhalten, in zugefrorenen Seen und auf massiven Gletschern die am besten zueinander passenden Stücke Eis zu finden.

Der kleine Ort Geilo liegt in einem der ältesten Skigebiete

Erst mit einer Motorsäge und dann mit japanischen Spezialmessern verwandelt Isungset große Eisbrocken in fragile, bläulich schimmernde Mobiles und hängt sie an Angelschnüren auf. Mit tauben Fingern klopft er die Klangkörper nach Rissen ab und stimmt sie dann raspelnd, feilend und kratzend aufeinander ab. Bis die Instrumente zum ersten Mal ertönen, dauert es viele Stunden. Und ob das Ergebnis die Erwartungen erfüllt, ist keinesfalls sicher. „Vor Konzerten bin ich nervös. Ob es gut klingt, entscheidet die Natur.“

Ein Perfektionist. Wer Terje Isungset und seine Mitstreiter besuchen möchte, muss ins norwegische Hochland fahren. Das Ziel ist Geilo, ein winziger Ort mit nicht einmal 2500 Einwohnern, der aber mitten im ältesten Skigebiet Norwegens liegt.

In den letzten Jahren hat sich die verschlafene Stadt in ein schickes Wintersportziel verwandelt. Über 550 Kilometer kostenlose Langlaufpisten und 18 Skilifte gibt es hier, doch ausgerechnet der wichtigste Lift stellt plötzlich seinen Betrieb ein, weil der Wind anscheinend gefährlich stark an den Sesseln rüttelt.

So stapft man denn an der Skistation Fjellandsby zu Fuß den Hang hinauf auf 1070 Meter, eingepackt wie das Männchen von Michelin in fünf Lagen Wollwäsche und Fleece. „Remember your warmest clothes!“ – „Denken Sie an Ihre wärmste Kleidung!“,
hatten die Organisatoren des Eismusik-Festivals ihren potenziellen Zuhörer warnend per Programmheft zugerufen.

Heiß ist neben der Suppe am Lagerfeuer nur die Eismusik. Mal tönt sie melancholisch, dann tanzt sie vor Lebensfreude. Man merkt ihr nicht an, wie viel Arbeit es gekostet hat, die Instrumente herzustellen. „Von 100 ähnlich aussehenden Stäben, die ich für meine Schlaginstrumente aus dem Eis schnitze, klingen am Ende vielleicht fünf“, sagt Terje Isungset. „Und ich weiß immer noch nicht genau, woran das liegt. Nur eines kann ich auf jeden Fall sagen: Mit Kunsteis funktioniert das Ganze überhaupt nicht.“ Der Musiker war schon als Junge ein begeisterter Trommler und spielte später in Rock- und Popbands, bevor er sich nach Neuem sehnte und aus Holz, Stein und Metall ein eigenes Schlagzeug baute. Das Sammelsurium aus Fundstücken sorgte für neue Klangwelten. Seither gilt der Norweger wegen seiner Improvisationen als einer der innovativsten Perkussionisten in Europa.

Spezialisten aus aller Welt helfen bei der Konstruktion

Eis als Klangkörper entdeckte er, als er für Festspiele in Lillehammer Musik komponieren sollte – das Konzert gab er an einem gefrorenen Wasserfall. Seit 2006 entsteht in Geilo, seinem Heimatdorf, nun jedes Jahr zum ersten Vollmond eine Arena aus Schnee. Gespielt wird nur ein Wochenende. Auch die Instrumente liegen nicht schon lange vorher im Gefrierschrank: Sie entstehen vor Ort an den Tagen vor den Konzerten. Spezialisten aus aller Welt helfen den Musikern bei der Kon-struktion von Eisgitarre, Eisfiedel oder Eisharfe.

„Eis reagiert anders als Holz oder Metall. Beim ersten Mal wusste ich gar nicht, ob sich die Saiten richtig verankern und korrekt stimmen lassen“, sinniert Sidsel Walstad, Soloharfenistin des norwegischen Rundfunkorchesters. „Es ist eine Herausforderung, ein Instrument zu benutzen, das man nur kurz vor dem Konzert Probe spielen darf – das Risiko, es zu zerstören, ist einfach zu groß.“ Nils Økland streicht derweil zum ersten Mal über die Hardangerfiedel, ein Volksmusikinstrument aus der Provinz Hordaland. „Ich traue mich gar nicht, richtig zuzudrücken.“

Besonders sensibel sind die dünnen Stäbe, Platten und Quader des Eisschlagzeugs: Ein Windhauch kann sie aneinanderstoßen und zerschmettern, und natürlich können sich verändernde Temperaturen in der Schnee-arena unter freiem Himmel dafür sorgen, dass das Instrument schmilzt, bevor Terje Isungset es mit Fingerspitzen oder Trommelstöcken zum Klingen bringt. „Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Wind verändern die Klangfarbe.“ Die Instrumente sind nicht für die Ewigkeit gemacht. Sein Eishorn hat Terje Isungset ausnahmsweise nicht aus dem gefrorenen Wasser der Umgebung geformt, sondern aus 2500 Jahre altem Gletschereis.

Die Zeit zerrinnt schnell zwischen seinen Fingern: „Es schmilzt durch meine Atemluft und hält nur ein Konzert.“ Zwar hat er auch schon versucht, ein Eishorn zu retten, indem er Wasser anfrieren ließ, um das Mundstück wieder zu verengen. Vergeblich – der Klang war weg.