Istanbul. Unterwegs mit der „Royal Clipper“: Auf dem größter Rahsegler der Welt geht es recht privat zu.

Am Morgen des letzten Tages, kurz vor dem Auschecken in Piräus, verblüfft uns Anita noch mit einer überraschenden Nachricht: „Sieben Segel sind in der Nacht eingerissen, wir hatten Böen bis Windstärke 11. Jetzt ist Oscar, unser Rigger, oben im Mast und flickt, was das Zeug hält.“

Dass es ein Gewitter bei der Passage von Poros zum Zielhafen gab, hat wohl jeder an Bord mitbekommen. Das Schiff lag zeitweilig um die zehn Grad schräg im Wasser, die von Gischt umspülten Bullaugen des Restaurants erinnerten ans Fenster einer Waschmaschine, und immer wieder blitzte der nächtliche Himmel grell auf. Doch dramatisch schien das alles nicht, im Gegenteil: Das Essen schmeckte gut wie immer, auch die finale Polonaise der von Anita angeführten Hotelcrew ließ keine Rückschlüsse darauf zu, dass weiter oben die Seeleute um Kapitän Brunon Borowka alle Hände voll zu tun hatten. Nur die halb offene Tropical Bar, das Reich von Chef-Barkeeper Manolito und sonst der beliebteste
Anlaufpunkt für den Absacker, blieb leer.

Zum Glück ist die „Royal Clipper“, auf der wir eine Woche durch die Ägäis segelten, keine Nussschale, sondern der größte Rahsegler der Welt. Auf 134 Meter Länge und 16 Meter Breite ist Platz für 227 Passagiere und 108 „Mann“ Besatzung (zehn davon Frauen). Setzt der Fünfmaster alle 42 Segel, stehen 5050 Quadratmeter Tuch im Wind.

An Land geht es fast immer

per Tenderboot oder Zodiac

Begonnen hatte der Törn in Istanbul. Eigentlich ein beliebtes Ziel für Städtereisen und Urlauber aus Übersee, jedoch aktuell ein Hafen, den wegen der politischen Situation und latenter Terrorgefahr fast alle großen Kreuzfahrtanbieter meiden. Auch bei der Reederei Star Clippers gab es viele Stornos, deshalb blieben ungewöhnlich viele Kabinen auf dieser Reise leer. Doch selbst wenn die „Royal Clipper“, das Flaggschiff der Flotte, gut gebucht ist, liegen zwischen diesem und anderen Cruiselinern Welten: Hier um die 200 Passagiere, die bei fast jedem Stopp ohne große Staus per Tenderboot oder Zodiac an Land gehen und sich dort schnell zerstreuen – dort 2000, 3000 oder gar 4000 „Paxe“, die in Buskolonnen Ausflugsziele überfluten. Wer Romantik auf See sucht, der findet sie viel eher auf Segelschiffen als auf den großen Stahlkolossen, die heute als Spaßfrachter auf den Meeren unterwegs sind.

Unvergessen unter Segel-Enthusiasten ist die „Preußen“, ein Fünfmaster, der 1910 im Ärmelkanal sank. Er war das Vorbild für die „Royal Clipper“. Der Schwede Michael Krafft, Gründer und Präsident von Star Clippers, war schon als Zwölfjähriger fasziniert von historischen Clipper-Schiffen, und sein größter Traum wurde es, diese irgendwann einmal selbst wieder auf das Wasser zu bringen. Nicht als Frachter, sondern für Passagiere. 1958 hatte der junge Michael im Kino einen Film mit dem Titel „Windjammer“ gesehen, eine prägende Vorführung für sein Leben.

33 Jahre später wurde der Kindheitstraum Realität. Mit den baugleichen „Star Flyer“ und „Star Clipper“, beide jeweils 115,5 Meter lang und mit vier Masten bestückt, begann das Kreuzfahrtgeschäft, im Jahr 2000 kam dann mit der „Royal Clipper“ ein noch größeres Schiff hinzu. Befahren werden seitdem vorrangig das Mittelmeer und die Karibik sowie Asien, wobei die langen Atlantikpassagen in Frühjahr und Herbst gerade bei den Wiederholern beliebt sind. Denn dann bleibt mangels Landgang noch mehr Muße für das Bordleben. Dieses ist geprägt von einer gewissen Lässigkeit. Zwanglose Atmosphäre ohne feste Sitzordnung und Krawattenpflicht verspricht bereits der Prospekt.

Vier-Sterne-Standard ohne strenge Kleiderordnung

Zwar gibt es ein Captains Dinner, doch ohne Anzug und Abendrobe. Und auch Hotelmanagerin Anita stellt an Bord klar: „Wir bieten Vier-Sterne-Standard ohne großspurige Etikette.“ Die Auslaufmusik von Vangelis, das Beobachten des Segelsetzens, ein spontaner Besuch auf der Brücke, die Visite im Maschinenraum oder auch nur das Dösen an Deck gehören auf der „Royal Clipper“ neben den täglichen sechs Mahlzeiten zu den besonderen Attraktionen.

Doch ganz ohne Entertainment geht es auch hier nicht. Zuständig dafür sind der Kreuzfahrtdirektor Gabor, der dreisprachig Folklore-Tanz, Schiffsquiz oder Foto-Abend moderiert, und ein etwas überroutiniert wirkender Bordpianist, der auch als DJ auflegt. Heimliche Höhepunkte sind jene Shows, die diesen Namen nicht wirklich verdienen, aber besonders lustig geraten, wenn auch
die Gäste mitmachen. Da wird dann die Talente- oder Piraten-Nacht zu einer Gaudi, bei der sich Engländer, Amerikaner und Australier mit Elan einbringen, während die Deutschen noch etwas irritiert am Gin Tonic oder Fassbier nippen.

Kreuzfahrten, auch die „unter weißen Segeln“, sind bis auf wenige Ausnahmen keine Veranstaltungen für junge Leute. Man trifft an Bord der „Royal Clipper“ ein Publikum zwischen 50 und 90 Jahren, wobei die „Generation 65 plus“ überwiegen dürfte. Das deckt sich also nicht ganz mit jenen ARD-Filmchen, die auf den kleinen Fernsehern der Kabinen in Dauerschleife laufen.

Nicht nur im Fernsehen, sondern auch tatsächlich hat die Crew einen engeren Draht zu den Gästen, als es auf den üblichen Kreuzfahrschiffen von Aida, Cunard und Co möglich sein kann. Was vor allem am überschaubaren öffentlichen Raum und der geringen Zahl der Menschen an Bord liegt. Man lernt sich schnell kennen und wird als Stammgast (das sind immerhin 60 Prozent an Bord) auch wiedererkannt.

Da die Crews hin und wieder ihre Schiffe tauschen, beobachten viele Mitglieder natürlich auch aufmerksam die weiteren Expansionspläne der Reederei. Ende 2017 soll mit der „Flying Clipper“ ein noch größerer Rahsegler in Dienst gestellt werden, angelehnt an die historische „France 2“. Dort werden bis zu 300 Gäste Platz haben, eine neue Achtern-Bar und ein über drei Decks reichendes Tauchbecken sind geplant. Zudem ist zu hören, dass der Rumpf in Sachen Eisklasse durchaus Spielraum lässt, um eines Tages auch in polare Gewässer vorzustoßen – eine neue Dimension in der internationalen Segelkreuzfahrt.