Koblenz. Die Gegend zwischen Rüdesheim und Koblenz lockt mit endlos scheinenden Wanderwegen und alten Schlössern

„Das ist der Grand Canyon der Romantik!“ Wolfgang Blum zeigt hinunter ins Mittelrheintal, und ein wenig stolz schwingt da mit in der Stimme. Wolfgang ist Wanderführer, gerade ist er 60 geworden, auf den Rheinsteigen ist er zu Hause. Der Blick geht weit hinein in das tief eingeschnittene, sich verengende Tal, durch das sich der Rhein windet. Seine Ufer sind gesäumt von unzähligen Burgen. Das hier ist Deutschland in R(h)einkultur, hier ballen sich Mythen und Klischees zuhauf.

Seit 2002 tragen die 65 Kilometer Mittelrheintal zwischen Rüdesheim und Koblenz den Unesco-Titel „Welterbe der Menschheit“. Und tatsächlich ist der Blick von diesem Rastplatz oberhalb des Fachwerkstädtchens Assmannshausen hinunter auf den mächtigen Fluss atemberaubend. Hinter uns, wo er einen Knick macht, fließt die Nahe in den Rhein, gleich bei Bingen am anderen Ufer im Rheinhessischen. Ganz anders als der Rheingau mit seinen im westlichen Teil recht steil zum Fluss hin abfallenden Hängen, ist Rheinhessen ein sanftes Hügelland.

So verschieden wie die Topografie der Region, so polarisierend war über lange Jahre hin auch das Denken über die Bewohner der jeweils anderen Uferseite. Man schätzte sich nicht über die Maßen, was sich auch heute noch – aber humorvoll – in einem ein wenig herablassenden Fingerzeig auf die jeweils andere Rheinseite manifestiert. Der Finger zeigt zu den Rheinhessen aus Rheinland-Pfalz und zu jenen aus dem Rheingau, der zu Hessen gehört.

„Früher sind die beiden Regionen getrennte Wege gegangen“, sagt Diana Nägler, Geschäftsführerin des Tourismusverbands Rheingau-Taunus. In jüngster Zeit aber habe man sich angenähert mit dem Ziel, Kooperationen zu schaffen – vor allem im Bereich Wandern und Radfahren, den großen Outdoor-Trümpfen dieser Region. Das bestätigt auch Christian Halbig von der Rheinhessen-Touristik.

Mit den Fähren kreuzt der Gast von Bingen in Rheinhessen nach Rüdesheim im Rheingau – und genießt, was ihm Natur, Küche und Keller zu bieten haben. Da hatte lange Zeit der Rheingau die Nase vorn – mit imposanten, historisch wuchtigen Bauwerken wie Schloss Johannisberg oder Kloster Eberbach, in dem Jean-Jacques Annaud Mitte der 80er-Jahre den Thriller „Der Name der Rose“ mit Sean Connery gedreht hat.

Rheinhessen, das in diesem Jahr sein 200-jähriges Bestehen feiert, hat andere Qualitäten. Nicht nur, dass seit Kurzem die Wanderwege tatkräftig ausgebaut werden. Vor allem wird auch in das große Naturgut der beiden Regionen investiert: den Wein.

Grauburgunder und Riesling

aus Rheinhessen

Galt der Rheingau über Jahrzehnte als die uneinnehmbare Hochburg des Rieslings, so gerät diese Vormachtstellung langsam ins Wanken. Rheinhessen ist das größte deutsche Weinanbaugebiet, und seit Generationen wurschtelten die Winzer auf ihren riesigen Hektarflächen vor sich hin. Qualität spielte nur untergeordnet eine Rolle, was zählte, war die Masse.

„Früher hat hier jeder sein Süppchen gekocht“, erzählt Stefan Winter, der sein Gut in Dittelsheim betreibt. Die „Rückbesinnung auf die Historie“ habe Rheinhessen lange Zeit gelähmt. Entscheidend für die Qualitätsoffensive sei der Generationswechsel gewesen, Anfang der 2000er sei es dann „richtig losgegangen“. Winter gründete den Verein „Message in a bottle“, in dem sich junge Winzer zusammentaten und ihre Erfahrungen austauschten. Mit Erfolg: Heute kommen hervorragende Rieslinge und Grauburgunder aus Rheinhessen, die die Rheingauer Konkurrenz schon mal das Fürchten lehren können.

Die Entwicklung bestätigt auch Philipp Wasem vom Familienweingut Wasem in Ingelheim. „Rheinhessen hat aus der
Vergangenheit gelernt und bringt in den letzten Jahren bestens ausgebildete und hoch motivierte Jungwinzer hervor“, sagt er. Man habe „den Mut, Neues zu versuchen und andere Wege zu gehen, statt in alten Spuren zu verharren“.

Von den Schlössern, Burgen und steilen Hängen des Rheingaus blickt man weit in das hügelige Rheinhessen, von der neuen Uferpromenade im rheinhessischen Bingen, wo 1179 die Benediktinerin und Dichterin Hildegard von Bingen starb, hingegen schaut man hinauf zu eben jenen Festungen, Denkmälern und Gärten. Und entdeckt dabei vielleicht die Abtei St. Hildegard. Dort leben gut zwei Dutzend Nonnen nach den Ordensregeln des Heiligen Benedikt. Klosterladen, Hofcafé, Keramikwerkstatt, Seminare, Führungen – ora et labora ist hier das lebenserfüllende Programm. Und, natürlich, wird auch hier Wein angebaut.