Bitche. Der Naturpark Nordvogesen liegt zwischen Elsass und Lothringen an der deutschen Grenze. Sein Artenreichtum macht ihn zum Unesco-Biosphärenreservat.

Einmal in seinem Leben ist Lutz Janisch richtig weit gewandert. Vom Spreewald, wo er 20 Jahre vor dem Mauerfall geboren wurde, ausgewandert nach Straßburg, wo er eine Stelle fand in einer Hotelfachschule: „Das war mehr oder weniger Zufall, ich war spät dran, Lehrplätze in Banken waren schon vergeben“, sagt Janisch. Das klingt ziemlich lapidar für einen ehemaligen DDR-Schlosser, der es bis zum Sternekoch gebracht hat. In Wahrheit hat Janisch in der Hotelfachschule Feuer gefangen für Beruf und Region. Anschließend ist er von einem preisgekrönten Küchenchef zum nächsten gereist, um Ideen zu sammeln für sein eigenes Restaurant in Bitche, im Herzen der Nordvogesen.

Im Jahr 2009 erhielt Janisch den begehrten Michelin-Stern – und die Europäische Kommission zeichnete den Naturpark Nordvogesen für nachhaltigen Tourismus aus. Er sieht darin lediglich einen Zufall: „Die meisten meiner Gäste wandern nicht“, sagt Janisch. Sie locken vor allem die immer neuen Kreationen des Küchenchefs. „Aber wir arbeiten überwiegend mit Produkten aus der Region“. Das ist durchaus im Sinne eines nachhaltigen Tourismus. Und was die Wandergäste betrifft, sei da noch Luft nach oben: „Es ist ja nicht so, dass Wanderer nur aus dem Rucksack leben.“

Rindviecher als Naturschützer

Die Zahl der Rucksackträger im Bitcherland ist tatsächlich überschaubar. Das Bild bestimmen Rindviecher, zottelig, frei und friedlich. Es sind Highland Cattle, die in den Nordvogesen als Naturschützer zum Einsatz kommen. Als sich die Bewirtschaftung des kahlen, sauren Bodens für die Menschen nicht mehr lohnte, breitete sich der Wald immer weiter aus. Es bestand Gefahr, dass er die biologische Vielfalt der Streuobstwiesen im Tal zerstörte. Bis die Naturparkbetreiber auf die Highland Cattle kamen: „Die Rinder sind sehr robust und können das ganze Jahr ohne zusätzlichen Schutz draußen leben“, erklärt Wanderführerin Geraldine Muller. Für die gebürtige Schottin sind sie eine Erinnerung an ihre Heimat.

Fern der Landstraße ändert sich das Bild: Torfmoor und Frösche statt Weiden und Rinder. Die eigentliche Wandertour beginnt am „Étang de Hanau“, der zugleich gastronomischer Treffpunkt und Badestelle ist. Ein Lehrpfad präsentiert seltene Pflanzen wie den fleischfressenden Sonnentau oder Torfmoose, kleine robuste Stämmchen mit einer Edelweiß-Krone – nur in Grün: „Sie können das 25-fache ihres Trockengewichtes an Wasser speichern“, schwärmt Muller, die in ihrer Freizeit an Ultramarathons teilnimmt und die Pflanze deshalb um diese Eigenschaft beneidet. Die 132 Kilometer lange Strecke des „Integrale des Seigneurs“ quer durch die Nordvogesen würde sie ohne die ständigen Trinkpausen wohl noch schneller schaffen als in den üblichen 19 Stunden, ulkt sie.

Burgen und Festungen en masse

Kein Wunder, dass es unter Mullers Fittichen zügig vorangeht: Die Wandergruppe durchquert dichte Wälder, umrundet gemütliche Weiher und erklettert rote Sandsteinfelsen. Manche Formationen erinnern an riesige Pilze, andere tragen kreisrunde Löcher: „Die sind namensgebend, wir sind auf dem Erbsenfels“, erklärt die Naturführerin. Eine metergroße, erodierte Felsöffnung zaubert schöne Lichteffekte hervor. Dass solche natürlichen Erhebungen die ideale Basis für Burganlagen und Festungen sind, belegen die Burgruinen Waldeck und Falkenstein am Wegesrand.

Richtung Deutschland kommen immer mehr Burgen in Sicht, unmittelbar an der Grenze dann das Château de Fleckenstein: Bis zu 70 000 Besucher zieht die teilrestaurierte, auf einem 30 Meter hohen und 90 Meter breiten Sandsteinfelsen stehende Ruine im Jahr an. Wem das zu rummelig ist, der erkundet die deutsch-französischen Verflechtungen auf einsamen Rundwanderwegen von Burg zu Burg. Weitere Rundwege führen auf die Spuren der Holzschuhmacher und Glasbrenner. Mit Glück trifft man dann im Glasmuseum Meisenthal auf engagierte Freiwillige wie Lucien Fleck: „Ich bin Bildhauer und habe Zeit“, sagt der über 70-jährige, der das kulturelle Erbe der Glasbrennerei weiter tragen will.

Warum die Nordvogesen alle notwendigen Voraussetzungen für die Glasherstellung boten, erleben die Wanderer in der Nähe der Gemeinde La Petite Pierre, zu deutsch Lützelstein. Dort führt ein Wanderweg am Rabenfels vorbei ins Buntsandsteingebirge: Der Buntsandstein lieferte den Rohstoff für die Glasherstellung, der Wald den Brennstoff, und die Farne erleichtern das Schmelzen des Sandes, erfährt die Wandergruppe. Mit Blick auf Weiher und Bachauen ringsum genießt sie ihre verdiente Brotzeit aus hartgekochten Eiern, Münsterkäse und Bauernbrot. Kein Sternemenü. Aber genau die richtige Stärkung für das Wandern wie Gott in Frankreich! dpa