Maastricht. Wein aus den Niederlanden, geht das? In mehr als 180 Weingärten reifen Trauben heran - im Achterhoek, bei Maastricht und am 53. nördlichen Breitengrad

Am 53. Breitengrad, 30 Kilometer südlich der Nordsee und einen Meter über dem Meeresspiegel prägen Schloote, Kartoffelacker und windschiefe Alleen die raue Landschaft. Umso erstaunlicher der Anblick, der sich Besuchern des Örtchens Twijzel bietet, die den Feldweg zum „Frysling“ einschlagen, dem Gut von Jantiene und Douwe Broersma: Denn dort reifen an schlanken Reben die Trauben der Sorten Johanniter, Souvignier Gris, Cabernet Cortis und Pinotin im wechselhaften Klima des niederländischen Küstenhinterlandes.

Das Weingut De Frysling ist das nördlichste unter den etwa 180 Weingärten der Niederlande - es liegt auf einer Höhe mit der Insel Langeoog und den Hansestädten Hamburg, Lübeck und Wismar. Das mindert das Selbstbewusstsein der Twijzel-Winzer jedoch nicht: „Den Namen haben wir aus Riesling und unserer Provinz Friesland kombiniert“, erklärt Douwe Broersma. Eine augenzwinkernde Anspielung an den Exportschlager des östlichen Nachbarn.

Douwe Broersma ist erst seit 2009 Weingärtner, davor war er Mitinhaber einer Spedition. „Damals habe ich meine Anteile verkauft, wollte etwas völlig Neues beginnen und draußen in der Natur arbeiten. Auf keinen Fall zurück ins Büro, so bin ich dann zum Wein gekommen“, erzählt Broersma. Bei seinem Start wurde er von Stan Beurskens beraten, dessen Weingut Sint Martinus in Vaals-Vijlen zu den größten Betrieben in den Niederlanden zählt.

Die Broersmas konnten im vergangenen Jahr 2013 über 1000 Flaschen Wein in ihrem Keller einlagern, darunter erstmals auch ihren spritzigen Schaumwein „De Frysling“. Auf sandigen eineinhalb Hektar Land stehen die 5000 Weinstöcke des beruflichen Umsteigers.

Umsteiger - die meisten Weingärtner in unserem Nachbarland hatten früher einen anderen Beruf, bevor sie zu den Weinstöcken wechselten: Kartoffel- und Obstbauern, Futtermittelmanager, Pilot, Stewardess, und Campingplatzinhaber, so unterschiedlich ist der berufliche Werdegang der neuen Winzer. Doch es gibt auch Gemeinsamkeiten: Viele von ihnen laden Besucher nach vorheriger Absprache zu Weinproben und Führungen ein.

Vor allem die leichten Weißen aus den Niederlanden, die hier serviert werden, sind im Sommer ein gut gekühlter Genuß. Die Rebsorte Johanniter, kräftig und sehr trocken, passt zu Fisch und Schalentieren. Den roten Pinotin trinkt man ebefalls leicht gekühlt zu Schweinefleisch, Lamm und Käse. Kräftig und fruchtig ist der rote Regent, ein Begleiter zu dunklem Fleisch und Wildspeisen.

Zu kosten gibt es sie oft in ehemaligen Scheunen und Ställen, wie auf dem Weinbauernhof ’t Heekenbroek in Drempt im Achterhoek. Gerhard Ensing hält die urige Probierstube seines Weingartens Hesselink in Winterswijk-Henxel von April bis November geöffnet: „Radtouristen machen bei uns Pause und probieren unsere Weine. Darunter sind auch viele Deutsche, die Landesgrenze zum Münsterland ist nur zwei Kilometer entfernt.“

Ab Mitte September reisen auch freiwillige Erntehelfer in so manchen Weingarten, um bei der Traubenlese mit anzupacken. Auf dem Weinhof „De Kleine Schorre“ im zeeländischen Dreischor auf der Insel Schouwen-Duiveland führt Johan van de Velde eine Warteliste mit 200 Bewerbern. „30 Männer und Frauen helfen uns“, so van de Velde. Als Lohn für die Mühe winken ihnen je zwei Flaschen pro Tag aus dem „Schouwen-Druiveland“, dem Traubenland, sagt van de Velde.

Auch er ist ein typischer Umsteiger: „Mein Vater hatte auf den Feldern Kartoffeln, Zwiebeln und Rüben. Aber damit waren wir als Bauernhof zu klein.“ Ein Nachbar gab den entscheidenden Tipp: Baut doch Wein an, hier in Zeeland ist das Klima gut, wir haben viele Sonnenstunden, und der Boden ist durch Muschelschalen kalkhaltig. Drei Jahre lernte van de Velde auf dem Weingut Cep D’or an der Luxemburger Mosel, bevor der Weinhof im Jahr 2001 mit den ersten Reben startete.

Inzwischen schreiben Paula und Johan van de Velde eine Erfolgsgeschichte. Auxerrois, Pinot Gris, Pinot Blanc und Rivaner aus Dreischor werden hoch über den Wolken in den Jets der niederländischen Fluggesellschaft KLM ausgeschenkt. Und während der Nuklearen Sicherheitskonferenz in Den Haag im März 2014 wurde beim Lunch mit US-Präsident Barack Obama, Bundeskanzlerin Angela Merkel und anderen Spitzenpolitikern der weiße, angenehm frische und milde Auxerrois-Pinot Gris vom Weinhof „De Kleine Schorre“ serviert.

Die meisten niederländischen Weingärten finden sich im Achterhoek, der hintersten Ecke der Niederlande an der deutschen Grenze, sowie in der südlichen Provinz Limburg. „Nach alten Dokumenten hatten wir hier im Mittelalter auf den Mergelböden zahlreiche Weingärten. Etwa 1200 Hektar sollen es gewesen sein, bevor das Bier zum Volksgetränk wurde“, so Mathieu Hulst vom Weingut Apostelhoeve.

Hulst gestaltete gemeinsam mit seinem Vater ab 1970 einen Teil des Obsthofes zum Weingut um. Heute liefert der Apostelhoeve seine Weine - klassische Rebsorten wie Müller-Thurgau, Riesling, Grauburgunder und Auxerrois - an Weinhandlungen und Gasthäuser in den Niederlanden. Auch deutsche Touristen nehmen sich gern das ein oder andere Fläschchen als Souvenir mit. dpa