Belgien. „De Lijn“ verbindet alle 14 Badeorte in Belgien miteinander.

Als würde sie vom Nordseewind angeschupst, düst die „Kusttram“ im Sauseschritt auf dem Seedeich entlang. Rechts die Dünen, links das Meer. Nächste Haltestelle: Renbaan. Niemand will ein- oder aussteigen, die Pferde galoppieren heute nicht. Die Silhouette von Oostende wird sichtbar.

„De Lijn“, wie die längste Überlandstraßenbahn der Welt offiziell heißt, drosselt ihr Tempo. Die Bahn verbindet alle 14 belgischen Badeorte miteinander, von Knokke an der holländischen bis De Panne an der französischen Grenze. Diese 67 Kilometer schafft sie in 143 Minuten.

Wer mitfährt, sieht viele Facetten der Küste: das Naturschutzgebiet am Rande von De Haan und die quirlige Innenstadt von Oostende, den Yachthafen von Blankenberge und den Containerhafen von Zeebrügge. Hochhäuser und vereinzelte Belle-Epoque-Villen, die sich schüchtern zwischen zehnstöckigen Haus-Riesen ducken – obwohl sie doch zuerst am Platz waren. Und immer wieder blitzt das Meer auf.

Von den Passagieren kommen einige mit gefüllten Einkaufstaschen vom Markt. Andere wollen zum Strand, die Bahn bringt sie direkt zu den Aufgängen. Die dritte Spezies – die mit den Wanderstiefeln – verkürzt die Tour auf dem Küstenwanderweg. Und dann gibt es sogar an dieser malerischen Küste Leute, die zur Arbeit müssen.

1886, als die ersten Abschnitte der Küstentram zwischen Middelkerke und Blankenberge eröffnet wurden, konnten sich nur Privilegierte einen Urlaub am Meer leisten. Die Bourgeoisie quartierte sich in den Grandhotels oder in den privaten Belle-Epoque-Villen ein.

„Die Häuser waren damals schöner. Aber heute ist es sozialer“ – die Flämin, die mir in der Tram gegenübersitzt, verteidigt den Baustil der 60er Jahre. „Weil jeder das Meer sehen will, muss man in die Höhe bauen.“ Die Einheimische empfiehlt mir einen Besuch im Belle-Epoque-Zentrum in Blankenberge: In dem interaktiven Museum, das in drei Jugendstil-Villen in der Elisabethstraat untergebracht ist, erfährt man eine Menge über die Entwicklung des Tourismus an der belgischen Küste.

Zum Beispiel, dass bis ins Jahr 1914 Kinder schwere Badekarren ans Meer ziehen mussten, damit sich die Herrschaften unbeobachtet im kühlen Nass erfrischen konnten. Im Blankenberger Jugendstilviertel rund um das Museum sind noch etliche Häuser mit wunderschön glasierten Kacheln im Blumendekor und mit den eisernen Balkonen erhalten.

Am Strand tobt das Leben, mehr noch als in den anderen belgischen Badeorten.

Kinder springen quietschvergnügt auf Trampolins herum, Pärchen spazieren über den Pier. Direkt am Strand reiht sich ein Geschäft ans andere, Opa und Oma suchen sich einen neuen Fernsehsessel aus.

In Knokke reihen sich Geschäfte an Cafés. Baden allein wäre langweilig. Spötter nennen den zentralen Albertsplein „Place m’as tu vu“, den „Hast Du mich gesehen?-Platz“.

Das benachbarte Zeebrügge ist nach Bremerhaven der zweitgrößte Container-Hafen Europas. Er ist durch den Boudewijn-Kanal mit der Mutterstadt Brügge verbunden.

De Haan bietet dagegen Belle-Epoque in Reinkultur. Im Park mit Tauben-Pavillon und Tennisplätzen lässt sich die Stimmung dieser Zeit nachempfinden. Albert Einstein hat vor seiner Emigration in die Vereinigten Staaten ein halbes Jahr in der Villa Savoyarde gelebt.

Ein Tagesticket für die Tram kostet fünf Euro. Hotels und weitere Unterkünfte sind im Herbst ab 33 Euro buchbar. Kontakt: Tourismus Flandern-Brüssel, (0221) 2 70 97 70, www.flandern.de