Sankt Peter-Ording. Das Wasser verändert die Küste bei Sankt Peter-Ording immerzu – und ist doch die große Konstante. Ein Ort im Wandel.

Es ist nie sicher, wo das Land endet. In Prielen, Zungen,

Rinnsalen schiebt sich das Wasser hinein, und in den Flächen spiegeln sich die Wolken, die der Wind wieder und wieder zu neuen Gestalten türmt. Mal verschmelzen Sand, Meer und Himmel in einem Wirbel aus Braun, Gelb und Blassblau, dann wieder schießen jäh Sonnenstrahlen zu Boden und bringen die Landschaft zum Gleißen.

„Das Amphibische fasziniert mich“, sagt Hans-Jürgen Krähe. „Dieses Wechselspiel von Trockenfallen und Überspülen. Mal springt man vom Strandkorb aus in die Brandung und ein paar Stunden später ist die Nordsee nicht mehr zu sehen.“

Der alte Herr hat den Blick des Malers, schließlich hat er Malerei studiert, bevor er Kunstlehrer am Nordsee-Gymnasium in Sankt Peter-Ording wurde. Das ist mehr als ein halbes Jahrhundert her. Damals gab es noch keine Strandsegler und Kite-Surfer.

Im Jahr 2012 tobt das Leben auf der immensen Sandbank vor Sankt Peter-Ording, dem äußersten Saum der Halbinsel Eiderstedt. Drachen bevölkern den launischen Himmel, Strandmuscheln knattern im Wind. Kinder buddeln barfuß zwischen Strandkörben. Über dem Treiben thronen die charakteristischen Sankt Peter-Ordinger Pfahlbauten, in rund sieben Metern Höhe, immer in Dreiergrüppchen: Badeaufsicht, Toiletten und, natürlich, Gastronomie.

Kilometerlange Fußgängerstege führen von den Dünen Richtung Wasser. Autos dürfen auf dem Sandwatt parken. Über einen Mangel an Infrastruktur kann in Sankt Peter-Ording niemand klagen, der ganze Ort ist sichtlich auf Hochleistung ausgelegt: 2,3 Millionen Übernachtungen jährlich zählen die vier Ortsteile Bad, Dorf, Ording und Böhl.

Im Zentrum von Sankt Peter-Bad verbinden sich Fischbuden und Apartmentblocks, nagelneue Reetdachhäuser im Retro-Friesenlook und postmoderne Hotels zu einem unbekümmerten Stilmix.

Einheitlicher wird das Erscheinungsbild im Ortsteil Dorf. Dort sind die Friesenhäuser schon eher so alt, wie sie tun. Nahe der Backsteinkirche beherberg ein historisches Reetdachhaus das „Museum der Landschaft Eiderstedt“ zur Geschichte der Gegend. Es ist eine Geschichte der Entbehrungen – von der Herrschaft des Meeres.

Über Generationen waren die Küstendörfer seinen Launen ausgeliefert. Mehrmals zwang das Wasser die Bewohner, ihre Häuser aufzugeben – andererseits ließen die ständigen Sandverwehungen einen Hafen nicht zu. Ohne Hafen kein Fischfang – weshalb die Dörfer als das Armenhaus der Halbinsel Eiderstedt galten. 1877 wurde das erste Hotel gebaut: Der Aufstieg Sankt Peters zur gefragten Sommerfrische war nicht aufzuhalten.

„Haben Sie noch ein Zwiebelbrot?“, fragt eine Dame mit schwäbischem Tonfall. Im winzigen Backhus summt es: Ein älterer Herr greift in die Regale, wo die Laibe liegen. Andere formen Teig oder schieben Brotlaibe in einen Steinofen.

Man kennt sich schon länger hier: Die „AG Orts-Chronik“, ein Verein von Handwerkern im Ruhestand, hat das Häuschen ehrenamtlich nach historischem Muster aufgebaut. Jeden Donnerstag wird gebacken, streng nach alten Rezepturen, und anschließend frisch verkauft.

Seit 30 Jahren erforscht der Verein die Geschichte des Ortes – so geht Identitätsstiftung. Man will nicht mehr der gesichtslose Kurort der 70er-Jahre sein. Einer Entwicklung wie auf Sylt, dessen Grundstücks- und Mietpreise sich Einheimische schon lange nicht mehr leisten können, will Sankt Peter-Ording entgegenwirken.

Gegen den Nachweis eines Arbeitsplatzes am Ort bietet die Kommune Bauland für 70 Euro pro Quadratmeter an. Das ist weit günstiger als die üblichen 350 Euro, aber trotzdem zu viel, findet Theo Schlicht: „Wer von den jungen Leuten kann denn überhaupt bauen? Alle ziehen weg, weil sie woanders Arbeit finden.“

Nebenbei seiner Arbeit als Hallenwart bietet Schlicht Führungen durchs Watt an. Das liegt nur einen Steinwurf von seinem Elternhaus entfernt, in dem er heute wieder wohnt. „Ohne das kann ich nicht sein. Ich muss auf dem Deich stehen und die Wolken sehen können“, sagt er. „Als Kinder haben wir morgens vor der Schule erstmal nachgeguckt, ob das Wasser noch da war.“ Es war immer da. Und nie dasselbe.