Sachsen-Anhalt. Der Elberadweg ist der große Klassiker unter Deutschlands Radwegen. Der Abschnitt in Sachsen-Anhalt ist eine der schönsten Teilstrecken.

Das Biosphärenreservat Mittlere Elbe lässt sich heute mal nicht lumpen: Gleich sechs Störche hat es zur Begrüßung aufgeboten, die durch den Tümpel staken, drei Falken beäugen von einem Baum aus kritisch die Radfahrer.

Man hat zu tun, das alles in sich aufzunehmen: Die Pappeln, in denen Mistelbüsche hängen wie dicke grüne Lampions. Das Rufen des Kuckucks. Den schwülen Duft der Fliederhecken. Die blitzschnellen Flugmanöver der Schwalben. Und irgendwo weit hinter den grünen Auen zieht sie dahin, die Elbe. 860 Kilometer lang ist der Elbe-Radweg von Cuxhaven bis Bad Schandau.

Die Strecke ist fast durchweg eben, meist gut ausgeschildert. Man muss sich treiben lassen – gerade auf einem der attraktivsten Abschnitte, dem Teilstück in Sachsen-Anhalt.

Jetzt geht es runter vom Deich, schon blitzt etwas Weiß-Rotes zwischen den Bäumen hindurch. Es ist ein kurioses Gemäuer aus Feldsteinen, gerade so, als hätte man mäßig begabten Maurern einen Haufen Findlinge hingekippt und gesagt: Nun macht mal!

Fast übergangslos ist man im Gartenreich Wörlitz angekommen. Die Insel Stein ist das, mit dem einzigen künstlichen „Vulkan“ Deutschlands obendrauf. Aber das kann ja noch nicht alles an Unesco-Welterbe gewesen sein. Ist es auch nicht.

Eine menschengemachte Landschaft aus Seen, Wiesen, Waldstücken, Tempeln und Schlösschen – so präsentiert sich der Wörlitzer Park. Wege schlängeln sich durch ein Labyrinth aus Büschen, an kleinen Wasserläufen warten Fährleute und bringen die Besucher für 60 Cent ans andere Ufer.

Auf einer Insel im Park erhebt sich eine Urne aus weißem Marmor, inmitten eines Kreises von Pappeln. Es ist eine Nachbildung vom Grab des Philosophen Jean-Jacques Rousseau, der einst „Zurück zur Natur“ gefordert hatte.

Überhaupt: Der ganze Wörlitzer Park ist eine einzige Absage an die streng getrimmten Hecken und die symmetrischen Achsen der Barockgärten. Zwischen Eiben, Kiefern und Zypressen spannen sich Brücken aus Eisen, Stein und Holz, ein gepflegtes Durcheinander.

Und unvermutet erhebt sich eine Backsteinfassade mit schmalen Pfeilern und spitzen Bögen – das Gotische Haus von 1773. Fürst Franz von Anhalt-Dessau, der den Park ab 1764 in fast 40-jähriger Arbeit anlegen ließ und allen Untertanen zugänglich machte, war ein Freund der Aufklärung.

Es sind die großen und kleinen Schätze am Rand, die den Elberadweg so einzigartig machen. Man steht vor der berühmten Bronzetür in Wittenberg, an die Luther angeblich seine weltverändernden Thesen heftete. Und stößt gleich danach auf das „Haus der Geschichte“: Von der Küche der zwanziger Jahre bis zum KC 87, dem ersten DDR-Computer, ist auf drei Etagen deutscher Alltag ausgestellt.

Die abendliche Tristesse der Innenstadt von Dessau, die die meisten Geschäfte an das neue Rathauscenter verloren hat, gehört ebenso zum Radweg wie die Meisterhäuser von Feininger, Klee und Schlemmer: Strenge, weiße Kompositionen aus Rechtecken in Glas und Beton – wahrlich protestantische Architektur.

Sehr unterschiedlich ist auch der Radweg selbst. Mal führt er geteert über den Deich, mal als Rumpelstrecke durch öden Kiefernwald, mal auf Betonplatten durch imposante Alleen und müde Dörfer. Manchmal zeigt ein Haus oder eine Brücke eine Markierung: 15.3.1881 etwa. Bis dahin ist die Flut damals gestiegen. Ein weites Meer muss dieses Land sein, wenn das hohe Wasser kommt.

Strahlend lässt die Sonne tagsüber die Felder erglühen. Abends erleuchtet sie die Fassade der Grünen Zitadelle von Magdeburg in warmem Rosa. Der Bau mit den goldenen Kuppeln, den gewellten Fluren und den 285 Arten von Fenstern, aus denen teilweise Bäume wachsen, spaltet die Bewohner der Stadt immer noch in Fans und Gegner, weil er den offenen Blick auf den Dom endgültig verstellte.

Dieser Dom! Man kann sich natürlich vor das Grab Otto I. stellen und 1000 Jahren Geschichte nachsinnen. Man darf sich aber auch hier treiben lassen und versuchen, inmitten der Pfeiler und dem Brausen der Orgel wie ein Bauer des Mittelalters zu empfinden: Überwältigt, stumm, erschlagen muss er gewesen sein.

Und dann taucht sie noch mal in ganz anderer Form auf, die Elbe. Im NABU-Zentrum in Buch ist der Maler Manfred Heckmann dabei, sie auf die Dachschräge des ehemaligen Gehöfts zu bannen. Von der Quelle bis ins Erzgebirge ist er schon gekommen – 40 Meter warten noch auf ihre Vollendung.

Auf die Radfahrer aber wartet Tangermünde, das wirkliche Hanse-Kleinod in Backstein und Fachwerk an der wirklichen Elbe. Es warten echte Störche, die von den Dächern klappern und in den Grünanlagen spazierengehen, es wartet ein reales, frisches „Kuhschwanzbier“. Auf die Elbe! Auf die schönen Tage!