Hannover. Kirchen und Klöster sind bei Reisenden beliebt, allerdings selten aus religiösen Gründen

Margrit und Willi Kappenberg verlangsamen ihren Schritt, als sie in die Marktkirche in Hannover eintreten. Sie heben die Köpfe zum Gewölbe über den mächtigen Pfeilern der gotischen Hallenkirche. „Ich bin fasziniert von dem roten Backstein und von der Stille hier“, flüstert Margrit Kappenberg. Das Ehepaar aus Burgwedel sucht nach einem Einkaufsbummel einen ruhigen Moment abseits der Baustellen in der Stadt. Doch auch auf Reisen gehen die Kappenbergs regelmäßig in Sakralbauten und auf Friedhöfe, wie viele andere Urlauber auch.

„Touristen mögen Kirchen und Klöster“, sagt der hannoversche Fachhochschulprofessor Ralf Hoburg. Er hat für die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers im vergangenen Jahr die Motive der „anonymen Kirchenbesucher“ erforscht, die außerhalb der Gottesdienste kommen. Mehr als die Hälfte der 325 Befragten aus 18 Dörfern und Städten besuchten der Studie zufolge häufiger Kirchen.

Auch eine Untersuchung der Uni Paderborn und der Thomas-Morus-Akademie belegt: Jeder zweite Deutsche rechnet Kirchen und Klöster zu den beliebtesten Zielen im Urlaub. Die meisten allerdings sehen die Gebäude als eindrucksvolle Sehenswürdigkeiten – und weniger als Orte des Glaubens.

„Die Kultur interessiert mich“, sagt Irina Niller, während sie in der Marktkirche Fotos aus der bewegten Geschichte des Baus studiert, dessen Ursprünge im 14. Jahrhundert liegen. Die junge Frau aus Kasachstan will während ihrer Deutschlandreise auch etwas über das Land erfahren, aus dem ihre Großmutter stammte.

Bei jedem dritten Kirchenbesucher steht nach Hoburgs Forschungen ein kulturhistorisches Interesse im Vordergrund: Die Kirche wird als Zeugnis der Vergangenheit gesehen. „Noch ist das Bewusstsein da, dass dort auch Gottesdienste gefeiert werden. Ich vermute aber, dass es in großen Kirche wie der Dresdner Frauenkirche allmählich verloren gehen wird.“

Immerhin hat nach seinen Daten noch fast jeder fünfte Kirchentourist zumindest ein diffuses Interesse an Glauben und Andacht. Selbst bei spontanen Besuchen bleiben viele oft bis zu einer halben Stunde, manche zünden Kerzen an und sprechen ein Gebet. „Das ist eine Unterbrechung des Alltags. Sie sehen die Kirche als einen Ort, an dem sie zu sich selbst kommen können.“

Vor allem Klöster versprächen eine Gegenwelt, sagt der Potsdamer Psychologieprofessor Christoph B. Melchers. „Da kommt es nicht darauf an, über das Neueste informiert zu sein und sich in Szene zu setzen, sondern Klöster stehen für Beständigkeit und Bescheidenheit.“

Im Alltag würden Menschen von Sinnversprechen überhäuft, die von der Entspannung beim Yoga bis zur Chance auf Reichtum reichten, sagt der Psychologe, der über „spirituellen Tourismus“ geforscht hat. „Manche sind das leid und suchen etwas Bleibendes.“

Eine Statistik der Klosterkammer Hannover unterstreicht diesen Trend: Mehr als 110 000 Gäste besuchten im vergangenen Jahr die 15 evangelischen Damenklöster und Stifte in Niedersachsen. Besonders hoch im Kurs standen ie sechs Klöster in der Lüneburger Heide, in denen noch heute Gemeinschaften evangelischer Frauen leben.

Neben Highlights wie dem Kölner Dom und der Dresdner Frauenkirche, die zu den zehn meistbesuchten Touristenzielen in Deutschland gehören, findet auch die kleine Dorfkapelle Liebhaber, wenn sie an den Routen der Reisenden liegt. Immer mehr Gemeinden reagieren darauf, indem sie die Türen auch außerhalb der Gottesdienstzeiten öffnen.

An Radwanderstrecken machen mittlerweile bundesweit 175 Radwegekirchen Urlaubern besondere Angebote wie Bänke und Tische für eine Rast.

Monika Wäldner, die in der Marktkirche ehrenamtlich Aufsicht führt, erläutert ihre ganz eigene Theorie über die Gäste: „Die kommen nicht nur, um die Kirche abzuhaken und zu fotografieren. Sie sind Suchende, ohne dass sie sich darüber im Klaren sind.“epd