Tirol. Die Brennerautobahn kennt jeder. Das links und rechts davon gelegene Wipptal mit seinen 600 Kilometern Wanderwegen nur wenige. Ein Fehler.

Bei Innsbruck beginnt der Süden. Die Brennerautobahn als Synonym für Alltagsflucht und Freiheitsdrang liegt vor einem, die Tiroler Bergwelt stemmt sich in den Himmel. Und irgendwo hinterm Horizont liegen Gardasee, Verona und Rimini. Die meisten Autofahrer treten auf’s Gas, um schnell an der Adria zu sein – oder im Ferienstau. Dabei entfaltet sich links und rechts eine Landschaft wie aus dem Bilderbuch.

Tiroler Wipptal heißt das grüne Band, von dem sechs Seitentäler abzweigen. Die Dörfer heißen Navis und Toldern, Trins und Vinaders, Matrei und Gries. Elf sind es insgesamt, die meisten so ursprünglich, dass man kaum glauben mag, dass Brenner und Europabrücke gerade mal eine Viertelstunde Fahrtzeit entfernt liegen.

„Im Sommer, wenn die Alpenrose blüht, ist die schönste Zeit“, sagen Toni und Wolfgang. Oder wie man hier sagt: der Toni und der Wolfgang. Wer mit den zwei Bergführern die Stiefel schnürt, bekommt auch eine sinnige Erklärung dafür, warum: „Der Liebe wegen“, lacht einer. Denn im Tiroler Wipptal war es früher üblich, dass die Hüterjungen den Sennermägden eine Alpenrose als Zeichen ihrer Zuneigung ans Fenster nagelten.

Bei großer Liebe oder heftiger Leidenschaft waren es auch mal ein paar mehr der samtig roten Blumen. Die blühen hier aber so üppig, dass auch mehrere Verehrer keine Probleme hatten, ihre Herzen gleichzeitig zu verschenken.

Wenn der Toni und der Wolfgang auf Achse sind, dann stehen ihnen zwischen Stubaier und Zillertaler Alpen rein theoretisch 600 Kilometer Wanderwege zur Verfügung, davon 200 als flaches Wegenetz, das sich auch gut für Bergeinsteiger eignet.

Aber auch erfahrene Tourengeher werden fündig: „Kaum jemand weiß ja, dass das Wipptal eine Bergschulter der berühmten Stubaier ist“, sagt der Toni. Und der Wolfgang ergänzt: „Oder dass, als die Grenze zu Italien noch bewacht war, die Route von Gries über die Sattelalm nach Obernberg am Brenner eine echte Rennstrecke für Schmuggler war.“

Eine vierstündige Strecke mit Geschichte und noch mehr Geschichten ist das heute – vorbei an alten Zollhütten und Gipfeln, in deren Schatten so manches Geheimnis gut verborgen liegt.

Eine der begehrtesten Touren ist allerdings die Almenrundwanderung „Peeralm – Klammalm – Naviser Hütte“. Nachdem man eine kleine Steigung geschafft hat, ist die restliche Wanderung ein Genuss für die Augen. Über satte Wiesenmatten geht es vorbei an Fichten-, Lärchen- und Zirmwäldern bis zur Naviser Hütte, wo Tiroler Spezialitäten und eine gute Brotzeit warten.

Und wer will, den führen die Bergführer auch zu jenem Ort der Werbeindustrie, den jeder Fernsehzuschauer kennt, aber von dem keiner weiß, wo er liegt – ins Valsertal. Dem Ort, an dem die lila Milka-Kuh zwischen blühenden Alpenrosen für die Welt ins rechte Licht gerückt worden ist.

400 000 Übernachtungen jährlich zählen die Betriebe der Täler. Für österreichische Verhältnisse sei das nicht viel, sagt Kurt Hasenbacher. „Aber dafür sind wir ein Topziel für zwei- oder dreitägige Stopover“, so der Geschäftsführer des Tourismusverbandes Wipptal. 60 Prozent der Gäste kommen dabei aus Deutschland – Aktive, vor allem Kletterer, Wanderer und Mountainbiker. Und Genießer natürlich. Schließlich beginnt bei Innsbruck der Süden. Oder wie Goethe auf seiner Italienreise im Jahre 1786 feststellte: „Von Innsbruck herauf wird es immer schöner – da hilft kein Beschreiben“.