Genua. An der Riviera bei Genua wird noch nachhaltig gefischt wie damals. Urlauber können live dabei sein.

Das Netz ist zu! Mit kraftvollen Bewegungen hieven acht Männer im Gleichtakt die „Tonnarella“ in Richtung Boot – eines der letzten großen Thunfischnetze an der italienischen Mittelmeerküste. Immer näher rücken die kleinen Bojen heran, an denen es verankert ist. Plötzlich ein silbriger Schimmer, das Wasser beginnt zu schäumen, Hunderte glänzender Leiber flutschen durchs Wasser, schlagen mit den Flossen um sich. Dann ist das Netz eingeholt, der Fang wird im Boot verstaut.

Mit stotterndem Motor macht sich das Fischerboot auf den Rückweg nach Camogli östlich von Genua, um die Fische in der Kooperative fertig für den Verkauf zu machen. Dreimal täglich fahren die Männer dafür aus – kein Wunder, dass sich unter den Einheimischen kaum Nachwuchs findet.

„Viele Fischer kommen inzwischen aus Rumänien“, sagt Ilaria Vielmini vom Verein Ziguele. Sie fährt jedes Wochenende mit Touristen aufs Meer, um ihnen dieses uralte Ritual zu zeigen. „Schon im 15. Jahrhundert gab es Tonnarellas vor unserer Küste“, erklärt die studierte Meeresbiologin. Im 17. Jahrhundert galt die Anlage von Camogli als die bedeutendste an der italienischen Riviera. Ein eigenes Dekret regelte damals, dass ein Teil des Fangs kostenlos an Bedürftige verteilt werden musste.

Bis heute wird die Tonnarella jedes Jahr von April bis September in der Strömung verankert. Es bleibt eine nachhaltige Methode der Fischerei, da Jungtiere durch die Maschen des Netzes entkommen können. „Mit dem Verein wollen wir zeigen, dass der Fang auch umweltfreundlich erfolgen kann“, erklärt Vielmini, die den Verein Ziguele mit zwei Kolleginnen gegründet hat.

Die Idee ist nicht neu in Ligurien, wo die Slow Food-Bewegung in Genua alle zwei Jahre das „Slow Fish Festival“ abhält – mit Geschmackslabor, Kinderkochkursen und Diskussionen über die Fischereipolitik. Auch immer mehr Gastronomen setzen auf Produkte aus der Region und nachhaltige Fischerei – und auf innovative Variationen alter ligurischer Rezepte.

Zum Beispiel im Restaurant „Capo Santa Chiara“ im Fischerort Boccadasse, einem beliebten Ausflugsziel der Genueser. Ein Bilderbuchdorf, dessen bunte Häuser in den Klippen über einer kleinen Bucht kleben, in der die Fischerboote liegen. „Es ist gar nicht einfach, die Ligurier von etwas Neuem zu überzeugen“, sagt Restaurantchef Andrea Sala. „Schon der Versuch, das Pesto mit etwas weniger Käse anzumachen, stößt auf Protest.“

Neue Ideen werden daher mit Fingerspitzengefühl eingeführt. So wie beim einstigen Arme-Leute-Essen „Cappon Magro“, das in der modernisierten Version mit Wolfsbarsch in Gelatine, Salsa Verde und Kapern zubereitet und damit Gourmetansprüchen absolut gerecht wird.

Wie der Fisch vor Liguriens Küste gefangen wird, lernt man von Renato Cammarata. Auf den ersten Blick ist er ein Fischer aus dem Bilderbuch: Mit grauer Lockenmähne, knappem Unterhemd, erkaltetem Zigarrenstummel zwischen den Lippen und schelmischem Blick fegt er übers Deck seines Kutters Castel Dragone, spaßt mit den Gästen und palavert mit seinem Kompagnon in der Kajüte. Doch im Laufe eines gemeinsamen Tages auf See, nach einer Angellektion und ein paar Gläsern Wein, erzählt er die Geschichte des anderen Renato, die des Aussteigers: „Entgegen meiner Berufung habe ich 33 Jahre lang als Steuerfahnder gearbeitet“, sagt er, und seine hohe Stirn legt sich dabei in Falten. „Dabei lernst du die schlimmsten Abgründe kennen. Ich konnte zu Hause vor Frust nie über meine Arbeit sprechen.“

Vor drei Jahren wagte er den Wechsel zur Fischerei – vom Nadelstreifen zum Feinripp. Auf vier Routen schippert Cammarata die ligurische Küste entlang, zeigt Gästen, wie man fischt, und läuft in die schönsten Häfen der Riviera ein. Heute ist Portofino das Ziel, das Mekka der Reichen und Schönen aus aller Welt und einer der teuersten Orte Italiens. Ein Postkartenidyll, in dem die betagte Castel Dragone zwischen den Yachten der Millionäre hindurch zum Anleger tuckert.

Während seine Gäste durch die Gassen des Dorfs streifen und die Hügel über dem Ort erklimmen, bereitet Renato in einer großen Pfanne Pasta mit Meeresfrüchten zu. Die weiße Schürze über den Shorts und die Zigarre immer noch im Mundwinkel. „Das Essen ist ,quasi buono’, irgendwie gut“, begrüßt er seine Gäste zurück an Bord. „Wenn es exzellent wäre, müsstet ihr ja nicht wiederkommen.“ Dann tafeln alle im Licht der letzten Abendsonne, unter den leicht pikierten Blicken der eleganten Flaneure im Hafen. Renato Cammarata nimmt es gelassen – seine einstige Klientel als Steuerfahnder muss er zum Glück nur noch aus der Ferne sehen.