Schweizer Alpen. Von Schwarzbrennern und Sammlern: Eine Reise zu den Wurzeln des berüchtigten Absinths in die Schweizer Alpen.

Wie in Zeitlupe tropft Wasser aus der Tischfontäne in das mit Absinth gefüllte Glas. Wie eine Rauchschwade schwillt die Eintrübung an und verdichtet sich zum trüben Getränk. „Es ist wie bei einer jungen Frau“, lächelt Nicolas Giger. „Die überfällt man ja auch nicht, man nähert sich ihr behutsam.“ Giger ist eine Art Botschafter des Schweizer Absinths. Es ist ihm zu verdanken, dass das Val-de-Travers die Wurzeln seiner Wermutschnapstradition nun auch öffentlich zelebriert.

Von Brennerei zu Brennerei reisend, kann man nun ehemaligen Schwarzbrennern, Sammlern und experimentierfreudigen Tüftlern begegnen – Verkostung inklusive. Bis 1910 war die Absinth-Destillation die Hauptwirtschaftsquelle im Val-de-Travers südlich von Neuchâtel. Der kleine Ort Boveresse war damals größtes Anbaugebiet der Welt für Absinthzutaten, die als Heilkräuter gelten: klein- und großblättriger Wermut, Melisse, Minze, Ysop, Süßholz, Koriander, Fenchel und Anis. Letzterer sorgt nicht nur für den eigentümlichen Geschmack, sondern auch für die Eintrübung, wenn man Wasser zugibt. „Meist in einer Mischung von eins zu eins bis fünf zu eins“, erklärt Giger.

Ende des 19. Jahrhunderts war Absinth das Lieblingsgetränk der Künstler und Partisanen, aber auch der französischen Militärs in Afrika. Die heute noch bekannte Firma Pernod, deren Gründer ein Schweizer war, produzierte Ende des 19. Jahrhunderts täglich bis zu 25 000 Liter. Doch dann wurde der Absinth in vielen europäischen Ländern verboten, weil er angeblich gesundheitsschädlich war. Erst 2005 wurde in der Schweiz das Verbot aufgehoben: Seitdem ist der Wermutanteil gesenkt, die Grund ingredienzen sind geblieben. „Das verdanken wir auch den Schwarzbrennern“, glaubt Giger. „Ohne sie wäre die Rezeptur verloren gegangen.“ Ein echter Schwarzbrenner war François Besençon nicht. „Als Betreiber eines Getränkehandels war das zu riskant.“ Sein Betrieb in Môtiers ist nun Getränkehandel und Brennerei in einem. Der Verkostungsraum erinnert an ein Bistro, in einer Nische wurde eine antike Absinthbrennerei nachgestellt – mit Originalzubehör. Denn seit 50 Jahren sammelt er alles, was mit Absinth zu tun hat. 2006 öffnete er diese weltweit einzigartige Sammlung fürs Publikum. Und während im echten Destillationsraum der Absinth in eine Kupferschale fließt und seinen Duft verströmt, spaziert man zwischen alten Abrechnungsbüchern mit Schnörkelschrift, Vitrinen mit unzähligen Absinthgläsern, Karaffen und Tischfontänen. Die Wände sind tapeziert mit antiker Absinthreklame. Immer wieder taucht die Abbildung der mysteriösen „grünen Fee“ auf Etiketten und Reklameartikeln auf.

Im Dorfzentrum Fleuriers hat Daniel Guilloud seinen Laden. Dort gibt es alles: vom Absinth in der Flasche bis zur Praline. Guilloud hat sich nie der Prohibition unterworfen. Über die Hintertür gelangt man in seine winzige Küche, den Mittelpunkt der Brennerei. „Ich wusste immer, dass ich etwas Verbotenes mache.“ 2001 passierte es: „Ein Bekannter hat mich verpfiffen“, sagt er. 1200 Schweizer Franken Strafe musste er damals zahlen.

„Viel schlimmer war der Tag, als mein Destillierkolben explodierte.“ Weil er nichts über den Hergang sagen durfte, traute er sich nicht ins Krankenhaus. Ein Freund überredete ihn, denn er hatte starke Verbrennungen. Seine Destillerie soll weiter in der winzigen Küche bleiben, auch wenn er 2010 den Preis für den besten Absinth der Schweiz bekam.

Die grüne Farbe entsteht übrigens durch das Chlorophyll der Kräuter. Je länger sie in der Spirituose eingelegt werden, desto stärker der Grünton. Wenn dann Tropfen für Tropfen das Wasser in den Absinth sinkt, bekommt die trübe Schwade eine opalgrüne Farbe und tanzt elegant wie eine Fee im Glas nach oben – voilà, das Geheimnis ist gelüftet.

Kontakt: Tourismusbüro Neuchâtel,

Telefon (0041) 3 28 89 68 90,

www.neuchateltourisme.ch