Barcelona. Auf den Spuren des Bestsellers „Der Schatten des Windes“ von Carlos Ruiz Zafón zeigt sich Barcelona von einer neuen Seite.

Diese Stadt ist eine Hexe, wissen Sie, Daniel. Sie setzt sich einem auf der Haut fest und nimmt einem die Seele, ohne dass man es überhaupt merkt.“ Ist es bei uns auch schon so weit? Sind wir verhext von Barcelona? Der uralten Stadt am Montjuic, einst Widerstandsnest gegen Francos Truppen, Heimat von Miró und Gaudí, von Montalbán und Zafón.

Den Spuren seines Bestsellers „Der Schatten des Windes“ folgen wir durch die engen Gassen des Barri Gotic, der Altstadt, durch die Einkaufsstraßen bis hinauf ins Viertel der Reichen an der Avenida Tibidabo.

Stefanie Buchholz, eine junge Deutsche, blond und bebrillt, hat uns an die Hand genommen. Das Studium und die Liebe haben sie nach Barcelona gebracht. Jetzt führt sie im Auftrag der Agentur Icono Touristen durch die Stadt – auf den Spuren von Filmen wie Tom Tykwers „Das Parfüm“ oder von Woody Allens „Vicky Cristina Barcelona“. Oder eben auch auf literarischen Spuren.

In dem Buch „Der Schatten des Windes“ von Carlos Ruiz Zafón spielt die Stadt eine Hauptrolle. Und wir begegnen einem ganz anderen Barcelona, das sich hinter den glitzernden Fassaden der modernen Stadt verbirgt.

„Sie sollten sich eine graue Stadt vorstellen mit besudelten Mauern“, sagt Stefanie Buchholz streng, während unsere Augen schier geblendet sind vom überbordenden Angebot der Läden und von den flirrenden Glas-Fassaden der Architektur-Stars, die sich hier einen Wettbewerb der Türme zu liefern scheinen.

Als Daniel Sempere, der Held des Romans, 1945 an der Hand seines Vaters durch diese Straßen lief, sahen sie sicher ganz anders aus. Er war auf dem Weg zum „Friedhof der vergessenen Bücher“ – und das Buch, das er wählte, sollte sein Leben für immer verändern. Es war „Der Schatten des Windes“ von Julian Carax.

An der Rambla, dem Rückgrat der Stadt, wo sich heute Taschendiebe, Taugenichtse und Touristen begegnen, hält Stefanie Buchholz inne. „Machen Sie die Augen zu, die Tasche fest im Griff“, mahnt sie, ehe sie den Anfang des Romans zitiert, in dem Daniel „durch die Straßen eines Barcelona“ ging, „auf dem ein aschener Himmel lastete und dunstiges Sonnenlicht auf die Rambla de Santa Monica filterte“. Dann zeigt sie auf einen versteckten, eher düsteren Durchgang, den Arc de Teatre, den Daniel und sein Vater auf ihrem Weg passierten.

Wir aber gehen dran vorbei und wenden uns lieber in Richtung Plaza Reial, wo sich rund um den Brunnen im Zentrum und unter den von Gaudí gestalteten Laternen die Fotografen gegenseitig auf die Füße treten und unter den herrschaftlichen Häusern des Abends die Bässe der Diskotheken wummern.

Hier, in einer der Prachtwohnungen, hat Protagonist Daniel mit dem reichen Buchhändler Gustavo Barcelo über sein Buch gesprochen und dessen Interesse geweckt. Hier hat er Barcelos Nichte, die blinde Clara kennengelernt, seine erste große Liebe. Und als er aus dem Barcelo-Haus geworfen wird, landete er in den Armen von Fermin, dem Bettler, der sein Freund und Retter werden sollte.

Mit Barcelo verabredete sich Daniel auch im Athenäum, einem „der vielen Winkel Barcelonas, in dem das 19. Jahrhundert noch nichts von seiner Pensionierung mitbekommen hat“ – was wir bestätigen können. Freilich können wir nicht erkunden, ob in dem „geisterhaften Netzwerk aus Galerien und Lesesälen (...) neumodische Erfindungen wie Telefon, Eile oder Armbanduhr“ immer noch nicht vorgedrungen sind, oder ob sie nicht längst von iPhone und iPad abgelöst wurden. Denn der Besuch des Athenäums ist heutzutage Privilegierten vorbehalten.

Dafür können wir uns anhand einer altmodischen Sombreria ausmalen, wie der Hutladen von Julian Carax’ Vater ausgesehen haben könnte. Auch das „4 Gats“, wo Daniels Eltern sich kennengelernt haben und wo immer wieder wichtige Gespräche stattfanden, sieht so aus, wie Daniel es beschrieb. Noch immer bewachen „steinerne Drachen die tief verschattete Fassade“. Das Restaurant wirkt, als hätte es die Zeit überdauert und wäre immer noch das Gleiche, in dem Picasso in einer Künstlerclique groß wurde und in dem auch Gaudí verkehrte.

Alte Fotografien helfen dabei, den Geist der alten Zeiten einzufangen, ganz so als hätten die alten Gaslaternen tatsächlich „Zeit und Erinnerungen eingefroren“. Fast aus der Zeit gefallen wirkt der Platz rund um die Kirche Santa Ana, wo sich ein Pärchen im Schatten küsst und beim Blumenhändler der Herbst duftet. Hier war Daniels Zuhause, hier hat er „auf zerbröselnden Seiten unsichtbare Freunde“ gewonnen und in dieser Kirche hat er seine Bea geheiratet – nach Irrungen und Wirrungen, die seltsam mit dem Schicksal von Julian Carax verschränkt sind, ja fast wie dessen Neuauflage wirken.

Direkt hinter dem Tor finden wir keinen Buchladen, wie ihn Daniels Vater geführt hat. Barcelona ist eine Stadt der Bücher. Auch die Universität im Eixample hat eine schöne Bibliothek. Der neoromantische Innenhof, übrigens von dem Mann gebaut, der Gaudí zum Architekten gemacht hat, lädt mit seinem Brunnen und den Säulengängen zum Träumen ein. Hier hat sich Daniel mit Bea verabredet, um mit ihr auf den Friedhof der vergessenen Bücher zu gehen.

Penelope, Julian Carax’ große Liebe, hatte keine Gelegenheit, auf die Universität zu gehen, und noch weniger Grund zu feiern. Die Liebe zu Julian wurde ihr zum Schicksal. Zum ersten Mal hat Julian das junge Mädchen im Haus der Aldaya gesehen, zu dem er „durch die dunklen Eingeweide der Stadt“ hinaufgefahren war.

Es war die Nummer 32 auf der von teuren Villen gesäumten Avenida Tibdidabo, heute ein eher unscheinbares Büro-Gebäude. Doch unsere Reiseleiterin Stefanie Buchholz deutet auf die andere Seite, die Nummer 31, eine Art Jugendstil-Schlösschen mit gotischen Anspielungen und einer gigantischen fliederfarbenen Bougainvillea. Ja, das passt besser.

Hier im Frare Blanc, dem weißen Mönch, finden wir wieder, was wir aus dem Buch kennen. Das Fenster, hinter dem Penelope stand, die labyrinthischen Gänge, das von Efeu überwachsene Eingangstürchen…

Manchmal darf die Fantasie auch spazieren gehen – und sei es nur bis auf die andere Straßenseite.