Bad Steben. Ein Marathon der besonderen Art: 24 Stunden zu Fuß durch den Frankenwald.

Morgens um acht im Kurpark von Bad Steben. Es beginnt wie ein normaler Wandertag, ähnlich einem sonntäglichen Volkslauf, mit vielen Teilnehmern. Der Himmel ist grau, die Blaskapelle formiert sich, der Kurdirektor spricht – von der Ehre, Gastgeber des Wandermarathons „24 Stunden von Bayern“ sein zu dürfen. Showdown für einen langen Marsch – rund um die Uhr.

Auf insgesamt drei Etappen verteilt sich das Dauerwandern durch Fichtenwälder, vorbei an Kornfeldern und hinab in das schluchtenartige Höllental. Start und Endpunkt ist jeweils der Kurpark von Bad Steben.

Gestandene Wandersleut machen sich auf den Weg, auch ein jüngeres Publikum ist dabei. Vater und Tochter laufen gemeinsam, ein Mann mit Hund, oder die Doppelkopfrunde, Frauen Anfang 40. Kaum jemand sieht nach Extremsportler aus. Die sind sowieso schnell über alle Berge, halten sich nicht lange auf mit Pausieren und fränkischer Gastlichkeit. Sie wollen nur Eines: Strecke machen.

Die 24-Stunden-Tour ist das Baby von Bayern Tourismus-Marketing und dem Wanderschuh-Hersteller Hanwag, geboren im Biergarten. Eine Idee, die offenbar den Zeitgeist trifft. Wie sonst könnte man den Run auf die Teilnehmerplätze erklären? In der Nacht zum 4. April 2011, um 4.44 Uhr, wurden genau 444 Plätze im Internet vergeben. Sechs Minuten später war alles gelaufen.

Dagegen zieht sich das eigentliche Laufen im Frankenwald hin. Am Abend drücken die Schuhe, Blasenpflaster werden ausgepackt. Hemden und Blusen sind verschwitzt, die Muskeln schwächeln. Der normale Wanderer fühlt sich nun ermattet. Aber es muss ja weiter gehen. Die Moral ist hoch, so schnell gibt hier keiner auf.

Auch nicht der rüstige Rentner aus Nordhessen, er will es wissen: „Halte ich einen solchen Gewaltmarsch durch, schaffe ich das?“ Mit Massagen werden die Muskeln im Kurhaus gepflegt. Dann, ein Zeichen des Himmels: Er reißt auf, die Sonne zeigt sich kurz vor ihrem Untergang. Das macht Mut.

Im Jahr zuvor, beim 24-Stunden- Wandern im Bayerischen Wald, da regnete es fürchterlich, erzählen Birgit und Thomas aus Heilbronn. Sie gaben auf. Nun also ihr zweiter Anlauf: „Wenigstens ein Mal wollen wir Finisher sein!“

Finisher, das sind die Tapferen, die bis zum Schluss durchhalten. Und das schaffen laut Veranstalter 60 bis 70 Prozent der Teilnehmer. Überprüft wird das nicht. „Wir wollen kein Wettlaufen provozieren, es soll ja auch Spaß machen“, heißt es da. Soso, Spaß. Ob der auch die Nacht überlebt?

Das sind 37 Kilometer, zu Fuß acht bis neun Stunden. Die Dunkelheit kommt, saugt alles auf. Eine Schwärze, die man als Städter kaum kennt. Zweifel tauchen auf: Warum nachts durch den Frankenwald tappen? Es gibt doch gar nichts zu sehen! Richtig. Die Welt schrumpft auf die Größe des Lichtkegels einer Stirnlampe. Fast weihnachtliche Stimmung verbreiten die vielen Lichter der Nachtwanderer. Jeder konzentriert sich jetzt auf seine Schritte, um nicht über Wurzeln am Boden zu stolpern.

Allmählich versiegen die Gespräche. Es wird frisch im Wald. Mitternacht nähert sich, die nächste Rast auch. Am Lagerfeuer lockt der Bratwurst-Duft, eine heiße Suppe wärmt. Nach der Wurst beginnt die Mühsal: Die Beine möchten nicht mehr bewegt werden, der Körper sendet Schmerzsignale. Weiter geht’s trotzdem.

In kleinen Gruppen bewegen sich die Wanderer durch ein schlafendes Dorf. Die Kraft schwindet immer mehr. So ab zwei Uhr morgens ist definitiv Schluss mit lustig. Das Limit ist bei den meisten erreicht. Oder überschritten.

Die Entscheidung fällt in Schwarzenbach, dort hält der Shuttlebus. Viele steigen ein. Busse fahren die ganze Nacht und sammeln an bestimmten Stationen müde Menschen ein. Die anderen laufen weiter. Ein Gedanke treibt sie vorwärts: Jetzt, wenige Stunden vor dem Ziel, aufgeben? Keinesfalls! Man will die eigenen Grenzen testen, um etwas mit nach Hause zu nehmen.

„Das endlose Wandern zeigt mir, was ich leisten kann, dass eben noch ein Stück mehr geht als gedacht“, erzählen Birgit und Thomas. Mehr noch: „Durchzuhalten, das gibt Selbstvertrauen. Auch für den Alltag, wenn man schwierige Situationen bewältigen muss.“

Dauerwandern erfreut sich steigender Beliebtheit. Nicht nur im Frankenwald, auch in anderen Regionen Deutschlands, etwa im Schwarzwald, wird das angeboten. Wanderreisen-Marktführer Wikinger veranstaltet alle zwei Jahre einen (ganz normalen) Wandermarathon. „Events dieser Art haben einen positiven Effekt für das Wandern allgemein, sie verjüngen die Klientel und fördern die Lust auf Erlebnisse zu Fuß“, glaubt Dagmar Kimmel, Wikinger-Geschäftsführerin.

Die Lust ist im Frankenwald irgendwo auf der Strecke geblieben. Aber gegen fünf Uhr weicht immerhin die Dunkelheit. Ein orangefarbener Lichtstreifen zeigt sich am Himmel. Es ist ein großartiger Moment, ja, es wirkt geradezu euphorisierend, wenn das Licht zurückkehrt – und das Leben. Zuerst trällern die Lerchen, Auftakt zum morgendlichen Vogelkonzert. Noch drei Stunden bis zum Ziel.

Am Ende sind es gerade die letzten Kilometer, die sich unüberwindbar anfühlen. Der Körper mobilisiert seine letzten Reserven, er schmerzt überall. Erschöpfte Menschen schleppen sich vorwärts, darunter auch das Paar aus Heilbronn.

Am schlimmsten sind die Füße. Da hilft kein Pflaster, die bequemsten Schuhe nicht, die Füße sind definitiv durchgelaufen. Sie stehen in Flammen – nach 70 Kilometern Dauereinsatz. Fazit: Trotz Schmerz und Qualen, da gibt es noch ein Gefühl: Stolz. Viel Stolz! Es geschafft zu haben, ein Finisher zu sein.