Allgäu. Allgäuer Bergdörfer suchen Wege jenseits des klassischen Ski-Tourismus.

Lore Haff-Winkelman aus Pfronten erinnert sich noch gut an die Zeit, bevor der Massentourismus im Allgäu einsetzte und den Winterurlaub veränderte. „Skifahren war für uns eher ein Naturerlebnis, kein Stress mit Höhenmetern und Tageskarten“, sagt die 95-Jährige, die 1936 im deutschen Olympiakader stand und bis vor sieben Jahren sogar noch auf Skiern unterwegs war. Jetzt im Alter kann sie beobachten, wie das Naturerlebnis wieder mehr in den Mittelpunkt rückt – mangels Schneesicherheit.

In den Allgäuer Bergen ist der Winterurlaub auf dem Weg zurück zu seinen Wurzeln. Die guten Wintersportbedingungen der vergangenen Wochen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Allgäu Urlaubern nicht immer und überall Schneesicherheit bietet. Der Breitenberg bei Pfronten gehörte im vergangenen Jahr bis Ende November den Wanderern. Wochenlang Sonnenschein, frühlingshafte Temperaturen und ein Blick bis Südtirol. Von Schnee war weit und breit keine Spur. Dennoch ist Pfrontens Tourismusdirektor Jan Schubert überzeugt: „Den Überlebenskampf als Wintersportort haben wir längst gewonnen.“ Die aus 13 Dörfern bestehende Gemeinde verzeichnet zwischen Weihnachten und Ostern mehr Übernachtungen denn je, und nur die wenigsten reisen mit Skiausrüstung an.

Vor sechs Jahrzehnten wurde in Pfronten der erste Skilift gebaut. Bis dahin hatte der Wintersport ein völlig anderes Gesicht. „Das Gesündeste am Skifahren war das Aufsteigen“, antwortet der 101 Jahre alte Josef Zweng auf die Frage nach den Wurzeln des Wintersports. Zwengs Spitzname ist „Boy“, seit er als junger Bursche Engländern und Amerikanern die ersten Schwünge im Schnee beibrachte.

Der Bau des ersten Lifts in Pfronten ist eng mit dem Leben von Haff-Winkelmann verbunden. Ihre Begeisterung für das „Naturerlebnis Skifahren“ wirkte ansteckend. Sie heiratete einen Maschinenbau-Ingenieur, der 1951 das ganze Dorf mobilisierte, um eine Seilbahn auf den 1700 Meter hohen Breitenberg bauen zu können.

„Ich weiß nicht, ob das Skifahren seitdem ungesünder geworden ist“, sagt Bergbahnchef Franz Bucher. Allerdings kann er auch sagen, wie lange Skifahren in dieser Höhenlage überhaupt noch möglich sein wird. Die Zeiten, in denen Pfronten Damen-Weltcup-Rennen ausrichtete, sind schon seit fast 30 Jahren vorbei. 1983 strich der Skiverband FIS Pfronten wegen mangelnder Schneesicherheit von der Liste. Die einstige Weltcup-Strecke am Skizentrum in Ortsnähe ist heute die einzige Piste mit Beschneiungsanlage.

Oben auf dem Hochplateau des Breitenbergs, der „Bel Etage“ von Pfronten, wäre die Wasserversorgung zu aufwendig für den Betrieb von Schneekanonen, sagt Bucher. Allein der Pisten wegen kommen immer weniger Urlauber nach Pfronten. „Familien mit Kindern wollen auch mal rodeln, Schlittschuh laufen und sich austoben“, sagt Tourismusdirektor Schubert. „Und dafür haben wir die Infrastruktur geschaffen.“

Dabei ändert sich auch der alpine Wintersport. Auf der ehemaligen Weltcup-Strecke werden mittlerweile Skicross-Rennen ausgetragen. Gleich zwei Pfrontener gehören zur Nationalmannschaft in dieser olympischen Disziplin, bei der vier Skifahrer gleichzeitig zu einem Parcours über welliges Gelände starten. „Es kommt darauf an, dass unsere Jugend mit dem Sport und für den Sport lebt“, sagt Schubert. Dann bleibe Pfronten als Winterferienort authentisch und attraktiv.

Die Zahlen geben ihm recht. Damals, während der Weltcup-Rennen, verzeichnete die Gemeinde 77 000 Gästeankünfte, heute sind es 100 000. Die Urlauber suchen nicht rassige Abfahrtspisten, sondern Abwechslung und den Spaß beim Naturerlebnis wie einst Haff-Winkelmann.

Schubert betont: „Heute sind unsere Loipen, die Winterwanderwege, die Rodelbahnen, die Schneeschuhtouren, der Eiskletterturm, Pferdekutschfahrten, das Eskimo-Wochenende im Iglu und die Bäder attraktiver als allein die Lifte.“ Allerdings, räumt er ein, sei ein wenig Schnee schon von Nutzen: „Und wenn es nur an Weihnachten ist...“