Ein EU-Projekt macht die alten Wege der Schwabenkinder erlebbar, die aus Tirol zum Arbeiten geschickt wurden

Schwer wiegen die "Hölzle" an den Füßen des achtjährigen Anton Bereuter. Nur mit Papier ausgestopft, gegen die Nässe, sollen ihn die klobigen Holzschuhe über die verschneiten Pässe des Bregenzerwaldes tragen. Das war 1916, und Bereuter war ein Schwabenkind. Eines von tausenden, die aus blanker Not von ihren Familien in Tirol, Vorarlberg oder Graubünden jedes Jahr im März nach Oberschwaben geschickt wurden, um über den Sommer dort auf einem Bauernhof zu arbeiten.

"Faktisch aber, um einen Esser weniger am Tisch zu haben", sagt Elmar Bereuter, Antons Sohn, heute.

Das Phänomen des "Schwabengehens" hielt viele Jahrhunderte an, bis in die 1930er Jahre. Ein EU-Projekt greift dieses schwierige Kapitel alpenländischer Geschichte nun auf und möchte die Wege der Schwabenkinder für Wanderer nach-erlebbar machen. Zum Beispiel auf dem Pfad entlang am Stillen Bach, einem mittelalterlichen Bewässerungssystem zwischen Weingarten und Fallenstock.

Hier kann man vielleicht nachfühlen, wie es damals gewesen sein muss. Oder einfach nur die Natur genießen. "Auf diesem Weg kommt man durch die stillen Winkel Oberschwabens, die selbst vielen Einheimischen unbekannt sind", sagt Bereuter, der uns begleitet. Der Bach plätschert eher lebhaft als still dahin, aber bis auf den wiederholten Schrei eines Raubvogels ist es tatsächlich ruhig.

Der Weg führt aus dem Wald hinaus und als Pfad über eine üppige Bergwiese. Hier ist er etwa zwei Fuß breit. Kurz danach trifft er im nächsten Waldstück wieder auf den Bach. Man passiert den Rösslerweiher, einen der ältesten Stauseen Europas, einst von Benedektinermönchen angelegt.

Diesen und andere Wege hat Bereuter in seinem Wanderführer ausführlich beschrieben. Das Buch führt den Wanderer von Bregenz am Bodensee auf verschiedenen Routen über Friedrichshafen nach Ravensburg. Hier fand über viele Jahrzehnte alljährlich im März der Hütekindermarkt statt. In der unscheinbaren Bachstraße, in der Nähe des alten Korn- und Viehmarktes, wurde verhandelt zwischen Kindern und Bauern. Über die Art der Arbeit, die Dauer und den Lohn.

Nichts erinnert heute noch daran, nur eine kleine Plakette am Juweliergeschäft Bartels. Allerdings erzählt der Geschäftsinhaber gerne die Geschichte seines Hauses, das zur damaligen Zeit eine Gaststätte war und "Krone" hieß. Hier wurden die Verträge zwischen Bauer und Hütekind mit einem gemeinsamen Essen besiegelt. Bis 1914, dann verlor der Ravensburger Markt seine Bedeutung.

Starke Widerstände gab es anfangs von allen Seiten, die Geschichte der Schwabenkinder aufzuarbeiten. "Ich erhielt sogar Morddrohungen", sagt Bereuter. Mittlerweile aber herrscht großes Interesse. Das Ravensburger Museum "Humpis Quartier" wird ab dem 19. November eine Dauerausstellung zum Thema zeigen.

Was war für Bereuter der Grund, das Projekt anzustoßen? "Zum einen, um die alten Verbindungen zwischen den Dörfern in Tirol oder Vorarlberg nach Oberschwaben wach zu halten", sagt er. "Und auch, um deutlich zu machen, dass unser Wohlstand nicht selbstverständlich ist." Jahre verbrachte er damit, die Wege der Schwabenkinder zu recherchieren. Was interessierten Wanderern heute zugute kommt.