Die Reise-Trends: Der Funtensee gilt als der kälteste Ort Deutschlands, seit dort Rekordwerte von minus 45,9 Grad Celsius gemessen wurden.

Es ist einer dieser Tage, wie man sie sich in seinen Träumen vorstellt: 23 Grad, Sonnenschein, der Himmel tintenblau. Das macht die Sache allerdings im Vorfeld schwierig, wenn man ausgerechnet an so einem Paradewanderwettertag eine Expedition zum kältesten Ort Deutschlands wagen will. Der befindet sich am Funtensee im Gebirgsmassiv des Nationalparks Berchtesgaden.

Was packt man ein für diesen Kältepol, an dem im Winter 2001 mit minus 45,9 Grad Celsius die tiefste in Deutschland jemals registrierte Temperatur gemessen wurde?

Sind Skiunterwäsche, Fleecepullover, Anorak, Mütze und Schal lächerlich oder umsichtig? Ist an einem Ort wie diesem dem schönen Wetter überhaupt zu trauen? Ausgangspunkt ist Schönau am Königssee. Wer zum Funtensee gehen will, muss zuvor übers Wasser nach Sankt Bartholomä mit seiner berühmten Wallfahrtskirche.

Nach der Schifffahrt sowie dreieinhalb schweißtreibenden Stunden und 1000 Höhenmetern Aufstieg erreicht man das Kärlingerhaus des Alpenvereins in einem Hochtal auf 1635 Metern, zu dem bis heute keine Zufahrtsstraße führt.

Wer eine einsame, wüste Gegend erwartet hat, in der sich Gemse und Murmeltier in eisiger Kälte zitternd Gute Nacht sagen, wird staunen. Letztere sind dort wohl zu beobachten, aber allein ist man hier bei schönem Wetter nicht.

200 Bergwanderer finden in dem mächtigen Gebäude einen Schlafplatz. Der Tag hält auch hier oben, was er versprochen hat: Es herrschen sonnige 22 Grad. Der Funtensee liegt etwas unterhalb der Berghütte. Mit seinen 3,5 Hektar wirkt er inmitten des Steinernen Meeres klein wie eine Pfütze. Auf der spiegelglatten Oberfläche doppeln sich Himmel und Erde.

Unweit des Ufers hat der Schweizer Meteorologe Jörg Kachelmann, mit dem Gespür für Rekordwerte, eine Wetterstation errichtet.

Weil der See in einer tiefen Senke liegt und von Bergen umschlossen ist, sammelt sich dort die schwere Kaltluft, die Restwärme entweicht in klaren Nächten nach oben. Bei geschlossener Schneedecke entstehen so extreme Temperaturen.

"Sobald allerdings ein Windstoß hineinfährt, ist alles sofort vorbei", weiß Hüttenwirt Siegfried Hinterbrandner. Wie die Rekordmessung zustande kam, daran erinnert sich Helmut Franz von der Nationalparkverwaltung Berchtesgaden:

"Als abzusehen war, dass es sehr kalt werden würde, ließ sich Kachelmann zum Funtensee fliegen. Sein Handthermometer zeigte ein Grad weniger an als der Wert, den der Deutsche Wetterdienst ermittelte." Damit war die Sensation perfekt.

"Für mich ist die Logistik die größte Herausforderung hier, denn jeder Holzscheit muss mit dem Hubschrauber eingeflogen werden", erzählt der Hüttenwirt, während seine Frau Gabi das Abendessen kocht. Trotzdem ging eines Tages das Spülmittel aus. "Da musste mal eben einer runterlaufen und einen Zehn-Liter- Kanister holen."

Moderne Technik gibt es dennoch in diesem abgelegenen Winkel der Alpen: Solarstrom, mit UV-Licht entkeimtes Quellwasser, ein Blockheizkraftwerk sowie eine Abwasserkläranlage. Nur das Duschen bleibt immer ein Wettlauf gegen den Münzautomaten im Flur und sorgt für einen Rest echten Hüttenfeelings. Nach drei Minuten ist schlagartig Schluss mit warmem Wasser.

Die Temperatur ist mittlerweile auf kalte drei Grad gesunken, und am anderen Morgen blühen Eisblumen an den Fensterscheiben. Doch dann klettert schließlich die Sonne über den Bergkamm und spannt einen wolkenlosen Himmel auf.