Die Reise-Reportage: Gerade sind die Scheichs von Abu Dhabi mit 73 Millionen bei Air Berlin eingestiegen. Doch das ist nichts angesichts der Summen, die das größte Emirat sonst bewegt. Ein Besuch im Übermorgenland.

Sand. Dünen. Hier und da Dattelpalmen oder ein bisschen Gestrüpp, das mit wenig Grün der brennenden Sonne trotzt. Kamele, ein paar Zelte aus Häuten, vor denen Frauen Hammelfleisch auf offenem Feuer zubereiten. So ungefähr muss man sich Abu Dhabi im Jahr 1761 vorstellen, als einige Männer vom Stamm der Bani Yas eine Gazelle während der Jagd verfolgten – und dabei eine Wasserquelle fanden.

Schnell schlug der Stamm an der Quelle sein Lager auf, 30 Jahre später baute die nächste Generation zum Schutz des Wassers einen Wachturm, der später zum Fort erweitert wurde. Selbstredend, dass es seit diesen Tagen keinen Tropfen Wasser mehr für lau gab.

Der Wachturm war der Beginn des Aufstiegs der Bani Yas zur Herrscherfamilie in Abu Dhabi – bis heute. Zu der legendären Wasserquelle kamen ab 1959 Ölquellen unter dem heißen Sand – und heute auch im Meer vor der 700 Kilometer langen Küstenlinie. Die Einnahmen aus dem schwarzen Gold katapultierten die Emiratis innerhalb von 50 Jahren von der Steinzeit ins Übermorgen.

Der Staatsfonds der Abu Dhabi Investment Authority, der alle Einnahmen verwaltet, ist mittlerweile eine halbe Billion Euro schwer und investiert weltweit – für die Zeit nach dem Ölrausch.

Im größten und reichsten der arabischen Emirate gibt es fast nur noch Extreme: ganz langsam oder ganz schnell. Ganz arm oder ganz reich. Zelt oder Palast. Esel oder S-Klasse. Was auch immer entsteht – es muss das Größte, Teuerste oder Spektakulärste überhaupt sein.

In der 2007 eröffneten Sheikh-Zayed-Moschee beten Gläubige auf dem größten Teppich, den Menschenhände je geknüpft haben. 55 Tonnen wiegt das gute Stück, das iranische Frauen in Handarbeit gefertigt haben. Gäste des neuen Hyatt-Capital-Gate-Hotels wohnen in einem Wolkenkratzer, der mit 18 Grad Neigungswinkel „das schiefste, je konstruierte Gebäude ist“, sagt Ashwini Kumar, der General-Manager, stolz. Und die Formel-1-Strecke ist nicht nur die neueste im Rennkalender – sie führt auch noch mitten durch das neue Yas-Hotel hindurch. Das sonst ewig gültige Gesetz vom Marktgleichgewicht, von Angebot und Nachfrage – in Abu Dhabi will man es außer Kraft setzen. Dutzende neuer Luxushotels wie das St. Regis werden aus dem Boden gestampft, Marinas und fünfspurige Autobahnen gebaut, obwohl der große Besucheransturm noch gar nicht da ist.

Man will den Boom mit Milliarden von Petrodollars einfach erzwingen. Doch nicht immer gelingt das. Bestes Beispiel ist Ferrari World, der größte überdachte Freizeitpark der Welt. Der musste gerade 400 Mitarbeiter entlassen, weil zu wenige Besucher kamen, um sich in der schnellsten Achterbahn der Welt auf 320 km/h beschleunigen zu lassen. Auch die meisten

Hotels kommen trotz optimistischer Außendarstellung nicht auf eine gute Auslastung. Und die staatliche Fluglinie Etihad, die gerade mit 30 Prozent bei Air Berlin eingestiegen ist, fliegt noch in den roten Zahlen.

Bei sensiblen Europäern könnte der erste Besuch in Abu Dhabi das Weltbild dennoch ins Wanken bringen: Beim Anblick des vielerorts maßlos zur Schau gestellten Reichtums wird einem nämlich bewusst, dass Europa nicht mehr der Nabel der Welt ist. Dass all unsere technischen Errungenschaften aufgekauft, in die Wüste geflogen und veredelt werden. Und beim Besuch im Emirates Palace, einem Sieben-Sterne-Hotel, dessen Bau so viel wie zwei Atomkraftwerke gekostet hat, wirken nicht wenige Bundesbürger beim Anblick des Goldautomaten (man kauft hier kleine Goldbarren „to go“) tatsächlich ratlos.

Man hat also nur drei Optionen. Erstens: Man fliegt niemals hierher und tut so, als sei die Welt noch nicht aus den Fugen geraten. Zweitens: Man findet großartig, was am Golf entsteht und bucht sofort seine Reise. Drittens: Man macht einfach mit. So wie Indrani Bit. Die hübsche Deutsche mit indischen Wurzeln arbeitet als Marketing-Managerin für das Luxushotel Park Hyatt auf Saadiyat Island.

Sie ist eine von rund 300 000 sogenannten Expats, Facharbeitern, die aus mehr als hundert Ländern in Abu Dhabi das aufbauen, wovon Scheich Chalifa bin Zayid Al Nahyan träumt: weltweit eine führende und anerkannte Kulturnation zu werden. An Abu Dhabi fasziniert Indrani vor allem „das internationale Umfeld“. Und Niall Doheny, Expat und Manager bei Etihad Airways, ergänzt: „Das Schöne hier ist, dass dein Arbeitgeber von dir verlangt, das Beste zu machen. Und nicht wie in Europa oft das, was am wenigsten kostet.“

Für das Beste rekrutiert das Emirat rund um den Globus Köche, Manager, Ingenieure, Designer und Künstler, die vom Louvre auf Saadiyat Island über das Guggenheim Abu Dhabi bis zur ersten CO2-neutralen Stadt der Welt alles Realität werden lassen. Als Köder dient das Versprechen eines steuerfreien Einkommens. Das zieht.

Insgesamt setzt die Herrscherfamilie auf das Prinzip Zuckerbrot und Peitsche: Internetseiten von wichtigen westlichen Medien lassen sich genauso wenig öffnen wie Facebook. Straßen und Plätze sind videoüberwacht. Für den Verzicht auf Opposition und Freiheitsrechte gibt es für Einheimische im Gegenzug allerdings ein gutes Auskommen, oft ohne viel arbeiten zu müssen.

Ein Stück Land bekommt man zur Hochzeit geschenkt, den Hausbau finanziert ein Ministerium des Scheichs, Strom und andere Nebenkosten sind gratis. Dazu fließt viel Geld auf die Konten der Emiratis, weil jede ausländische Firma einen Einheimischen für die Geschäftseröffnung braucht. Der Preis für die nötige Unterschrift: 51 Prozent an allen Gewinnen, die anschließend im Land erwirtschaftet werden.

Sand. Dünen. Hier und da Dattelpalmen oder ein bisschen Gestrüpp, das mit wenig Grün der brennenden Sonne trotzt. Wo der Asphalt der Straßen aufhört, sieht es heute noch genauso aus wie damals, als der Stamm der Bani Yas noch mit Kamelen durch die Wüste zog. Und wer einen Emirati am Rande der Wüste trifft, gekleidet in die traditionelle Dishdasha, ein weißes Gewand, und mit dem geschlungenen Tuch als Kopfbedeckung, könnte meinen, die Zeit sei stehen geblieben.

Nur ein kleiner Knopf im Ohr und das Mobiltelefon in der Hand zeigen, in welcher Zeit man sich befindet. Vielleicht im Heute. Vielleicht aber auch schon im Übermorgen.