Sayed Ali Shah war fasziniert, als sich die seltsam gekleideten Männer und Frauen den schneebedeckten Hang zu seinem Haus hochkämpften. Menschen mit bunten Anzügen, klobigen Stiefeln und Stöcken in Händen hatte der 17-Jährige in den Koh-e-Baba-Bergen im Herzen Afghanistans noch nicht gesehen. Auch dass die Gruppe zum Skilaufen in seine Heimatprovinz Bamian gekommen war, konnte der junge Mann überhaupt nicht verstehen. Diese Freizeitbeschäftigung war ihm gänzlich unbekannt.

Das blieb so bis zu jenem Wintertag im Januar: Das Treffen mit den Sportlern hat Shahs Leben verändert, denn wenig später lud ihn der italienische Skilehrer Ferdinando Rollando ein, an seinem Unterricht teilzunehmen. "Shah wollte nach Kabul gehen, um Ingenieur zu werden", erinnert sich Rollando an die erste Begegnung. "Ich sagte ihm, dass es dort schon viele Ingenieure gibt, aber hier niemand als Bergführer arbeitet." Heute ist der junge Afghane Rollandos Assistent und von seiner neuen Aufgabe begeistert: "Ich will Skilaufen lernen und Trainer werden, um es anderen Jungen aus unserer Gegend beizubringen." Zu Rollandos Gruppe gehören insgesamt 36 Jugendliche im Alter von 13 bis 16 Jahren, die auf den Hängen rund um die Provinzhauptstadt Bamian trainieren. Alle sollen einmal als Skilehrer, Bergführer oder Mitglieder eines Bergrettungsdienstes arbeiten.

Der 49-jährige Italiener kam zu Jahresbeginn nach Afghanistan. Zuvor hatte er 20 Jahre lang in den Alpen gearbeitet. Seine Familie sei nicht begeistert gewesen. Doch ihn habe das Projekt gereizt. Angestellt ist Rollando bei einer Agentur, die mit internationaler Entwicklungshilfe den Tourismus in Bamian in Schwung bringen soll.

Bis zum Einmarsch der Roten Armee 1979 und dem Beginn des Bürgerkriegs zog die 230 Kilometer nordwestlich von Kabul gelegenen Region jährlich Tausende Besucher an. Attraktion waren vor allem zwei gigantische Buddha-Statuen aus dem 6. Jahrhundert, die Anfang 2001 von den radikal-islamischen Taliban zerstört worden waren. Wenige Monate später endete das Regime der Gotteskrieger, die unter der schiitischen Hasara-Mehrheit von Bamian nie Rückhalt hatten.

Das ist einer der Gründe, weshalb die Provinz auch heute als die sicherste in Afghanistan gilt. Die wirtschaftliche Entwicklung allerdings kommt nur schleppend voran. Bamian ist noch immer arm.

Mit Hilfe des Ski-Projekts soll sich das ändern, denn Rollando und seiner Unterstützer hoffen auf zahlungskräftige Touristen. Die Region Bamian eigne sich "hervorragend" fürs Skilaufen, sagt der Italiener. Wochenlang seien die Hänge mit feinstem Pulverschnee bedeckt. "Eine bessere Qualität lässt sich nur schwer finden." Auch die meisten Einheimischen seien aufgrund der jahrelangen harten Arbeit auf den Felder und Bergweiden fit genug für eine Karriere auf Skiern.

Neben Sayed Ali Shah haben sich auch andere junge Leute von Rollandos Enthusiasmus anstecken lassen. "Skilaufen macht Spaß", sagt Murtaza Jahfari (14). "Außerdem kann man damit Geld verdienen." Trotz der recht guten Sicherheitslage sind die Herausforderungen für das Projekt gewaltig. So gibt es keine zivile Flugverbindung zwischen Bamian und Kabul. Reisende sind bislang auf Maschinen der Vereinten Nationen oder Charterflüge angewiesen. Die beiden wichtigsten Straßen in die Hauptstadt führen durch unsicheres Gebiet, in dem Kriminelle und Aufständische ihr Unwesen treiben.

Auch die touristische Infrastruktur im potenziellen Skigebiet ist noch nicht entwickelt. Nach jeder Abfahrt müssen Läufer wieder selbst auf den Berg steigen, denn Skilifte fehlen völlig. Zudem eignen sich die wenigen traditionellen Restaurants kaum zum Après-Ski.

Doch Rollando ist optimistisch. Zunächst möchte er die vielen Ausländer fürs Skilaufen begeistern, die in Kabul für Botschaften, Hilfsorganisationen und andere Arbeitgeber tätig sind. "Einige davon wollen nach einer harten Arbeitswoche unter massiven Sicherheitsvorkehrungen vielleicht mal Dampf in Bamian ablassen." dpa