Das Leben von Orlim Vargas in Basel ist ein Auf und Nieder – Er ist der letzte Liftboy Europas

Kurz zupft Orlim Oldemar Zurita Vargas seine weißen Handschuhe zurecht, blickt auf seine rote Weste und die polierten schwarzen Schuhe. Die Uniform sitzt perfekt. Muss sie auch, schließlich arbeitet der 35-Jährige im Basler Nobelhotel "Le Trois Rois". Und schließlich ist er nicht irgendein Page: Er ist der letzte Liftboy in Europa.

Das behauptet er nicht einfach so. Der gebürtige Ecuadorianer ist eine ehrliche Haut, nie würde er das nur einfach so aus Werbezwecken herausposaunen. Bekannte hatten ihn angespornt, zu recherchieren, ob es irgendwo noch andere Hotelangestellte gibt, die einen ähnlichen Job machen. Also hat er bei Hoteliersverbänden, Tourismusorganisationen und Ämtern nachgebohrt. Und überall in Europa war die Antwort dieselbe: "So einen Beruf gibt es nicht mehr."

Die Uniform sitzt. Vargas drückt aufs Knöpfchen. Dritter Stock, 20 Sekunden. Was sind schon 20 Sekunden? Im Aufzug eine Ewigkeit, wenn man sich anschweigt. "Deswegen versuche ich immer eine Kommunikation aufzubauen", erklärt der 35-Jährige. Er frage zum Beispiel, ob die Gäste mit dem Hotel zufrieden sind oder schon Zeit hatten, einen Spaziergang durch Basel zu machen. Er beschreibt ihnen auch gerne die Sehenswürdigkeiten und kann sogar einen kurzen, fundierten Vortrag über das berühmte Münster halten.

Die meisten sind gesprächsbereit und froh, wenn er das Eis bricht. Natürlich gibt es auch Ausnahmen: Gäste, die mit dem falschen Bein aufgestanden sind, eine lange und stressige Anreise hatten oder Miesepeter, denen nichts an einem Wortwechsel liegt. Aber Vargas hat ein Gespür für Menschen. Er besitzt ganz feine Antennen, um die Gefühlslage anderer sofort zu erfassen. Kollegen im Hotel sagen ihm telepathische Fähigkeiten nach, und Vargas glaubt, dass er diese Begabung seinem Großvater verdankt, der Schamane war. "Ich schaue den Gästen in die Augen und weiß was los ist."

Aber er fühlt sich auch für ganz praktische Dinge zuständig. Manche kommen schon mit bestimmten Vorstellungen ins Hotel, wollen für den Abend noch Konzertkarten oder ein Flugticket für übermorgen. Andere sind froh über jede Anregung, nehmen dankend den Tipp entgegen. Mit Gespür für Stimmungen.

So merken Gäste schnell, dass sein Arbeitstag mehr ist als Knöpfchen drücken und Small-talk. Außerdem muss ja auch der Lift sauber sein. Hochglanzpoliert. Deswegen hat Vargas in einer kleinen Kammer im Erdgeschoss Putzmittel deponiert. Wenn es mal ruhiger zugeht, schnappt er sich Eimer und Lappen, sprüht die verspiegelte Aufzugtür ein und reibt akribisch jeden Fingerabdruck weg.

Vor gut acht Jahren hat er in seiner Heimat eine Schweizer Mathematiklehrerin kennen gelernt, die Urlaub machte. Heute ist er mit ihr verheiratet, sie haben drei Kinder. Als Vargas damals in die Schweiz kam, hat er als Tellerwäscher angefangen. Aber die Verantwortlichen des Hotels haben schnell erkannt, dass mehr in ihm steckt. Schließlich hat er in Ecuador Biologie studiert.

Das nützt ihm auch in der Schweiz, mehrmals die Woche führt er Besucher durch den botanischen Garten in Basel. Mittlerweile kommen sogar Leute ins Hotel und wollen eine Unterschrift von ihm. Er besitzt sogar eigene Autogrammkarten: Orlim Oldemar Zurita Vargas. Mit roter Weste und polierten, schwarzen Schuhen.