Die Reise-Reportage: Auf St. Lucia in der Karibik kann man die Pitons hinaufkraxeln oder das gleichnamige Bier hinunterspülen.

Ah, jetzt, ja, eine Insel! Wer kennt nicht das Lummerlandlied aus "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer"?

Passt perfekt zur Karibikinsel Saint Lucia: "Eine Insel mit zwei Bergen und der Laden von Frau Waas: Hustenbonbons, Alleskleber, Regenschirme, Leberkas. Körbe, Hüte, Lampen, Würste, Blumenkohl und Fensterglas. Lederhose, Kuckucksuhren und noch dies und dann noch das."

Bis auf Leberkäse und Kuckucksuhr kriegt man alles auf dem bunten Markt in Saint Lucias quirliger Hauptstadt Castries.

In der Markthalle locken karibische Körbe und Hüte, unter leuchtenden Sonnenschirmen im Freien arrangieren die Händlerinnen Gemüse und Früchte.

Sie sind bunter gekleidet als Frau Waas, ein wenig fülliger um die Hüfte und sehr entspannt. Hektik und Hast verbieten die Temperaturen, die so eine Trauminsel hat. Die Zwillingsberge, Pitons genannt, sind das Wahrzeichen der Karibikinsel Saint Lucia: Sie erheben sich über üppigem Regenwald und das tiefe weite Meer, bohren sich 700 Meter in den Himmel.

Manche packen den Rucksack und kraxeln die kegelförmigen Kolosse hinauf. Andere spülen ein Piton lieber hinunter: Das Bier heißt wie die Berge. Den besten Blick darauf erlaubt das "Jade Mountain". Ein exzentrisches Berghotel. Den Zimmern fehlt die vierte Wand. Wind und Sonne kommen ans Bett, Vögel sind zur Stelle, wenn man nur eine Banane liegen lässt.

Den Tieren unter der Wasseroberfläche ist nicht so leicht beizukommen. Das Meeresungeheuer "The Thing" soll da herumgeistern. Nicht zu verwechseln mit der Riesenseeschnecke, die der berühmte Filmschauspieler Rex Harrison im Jahr 1967 für das Filmmusical "Doctor Doolittle" suchen ging.

Sie nennen ihn Lizard – er ist fix und unberechenbar Er vermutete die purpurne Kreatur in Marigot Bay, der "schönsten Bucht der Karibik", wie der Schriftsteller James A. Michener weiß.

Sein Kollege Derek Walcott gewann den Literaturnobelpreis mit Versen über Saint Lucia. Er ist ein Sohn der Insel. Doch man erlebt die Karibik kaum beim Schmökern und Lummern am Pool. Action ist angesagt. Schnorcheln, Tauchen, Segeln, Surfen: alles machbar. Soweit die Bretter tragen oder die Pferde: gesattelt sind.

"Sie nennen mich Lizard", sagt der junge Mann, "weil ich so bin."

Schmal, fix und unberechenbar wie eine Eidechse ist der 22-Jährige. Er gibt Reitunterricht, seit er ein Junge war, hilft Promis in den Sattel. Der Reitstall liegt einen Lassowurf entfernt vom Cotton Bay Hotel in Cas-en-Bas, wo Amy Winehouse einst Strandurlaub machte. Lizard erinnert sich gut: "Eine flotte Reiterin". Amy durfte Flex reiten, Lizards bestes Pferd. "Gefleckt wie ein Café latte." Auch Anfänger sind willkommen. "Wir reiten zum Donkey Beach." Es geht über smaragdgrüne Hügel vorbei an mannshohen Saguaro-Kakteen wie in Amerika.

Der Strand, der Eselsstrand heißt, ist eine größere Sandmulde. Unermüdlich schießt der Atlantik hinein und gurgelt davon. Die Brandungswogen fordern Ross und Reiter. Lizard grinst: "Mein Held ist John Wayne." Ob ihn die Polizei in Gros Islet brauchen könnte? Klar, dass auch einmal etwas dumm läuft auf so einem Inselchen mit rund 170 000 Einwohnern. Ordnungshüter muss es geben. Doch das kleine Revier schreckt die Gesetzlosen nicht. Es besteht aus einem vergitterten Empfangsschalter mit einer Pförtnerin, die endlos telefoniert. Im Dienstzimmer werden Protokolle mit Hand geschrieben, es ächzt der Ventilator, der Luftzug ist kläglich. Ob Lizard die Bösewichte auf den Steckbriefen schneller kriegen würde? Aber der Möchtegern-John Wayne tobt sich bereits wieder auf dem Pferderücken aus.

Erfrischungspause in der Cas-en-Bas-Bar. Marjorie baute die Strandbar, wo einst Trümmer einer US-Rakete ins Schilf schlugen: "Dieser Platz war gar nichts, und ich habe daraus den originellsten Treffpunkt gemacht." Die kastanienäugige Marjorie ist eine Inselheldin. Der Strandabschnitt schien einmal an Spekulanten verloren. Sie planten weitere Hotels. Bis die beherzte Insulanerin sie stoppte.

"Land des Leguans" nannten die Kariben Saint Lucia. Der Tier- und Pflanzenkosmos ist Teil des touristischen Kapitals. Berauscht verweilt man bei den Diamond Wasserfällen, lauscht den Stimmen in der Stille der Nacht im Dschungelresort Ti Kaye: abenteuerlich abgelegen und wie ein Adlernest an einen Steilhang überm Meer gebaut.

Die Gäste holpern im Jeep ins Urwaldquartier. Geradewegs zu Außendusche, Holzveranda, Hängematte und Zikadengesang. Das Wetterleuchten am Nachthimmel kitzelt die Glückshormone. Auf der spiegelglatten Wasserfläche schaukelt nur ein einsamer Segler. Zügellos wie die Passatwolken.

Der nächste Ort ist das Fischerdorf Anse la Raye, die Bucht der Rochen. Jeden Morgen wird der beschauliche Flecken herausgeputzt für den Herrgott und die Touristen.

Die Dorfbewohner sind scheu. Frauen waschen die Wäsche im Freien mit Blick auf die Boote. Ihre Männer huldigen dem "Spirit of St. Lucia" mit Hochprozentigem. Ein guter Tropfen, Musik, Steelbands und Karneval sind eine große Nummer für Saint Lucians. Die Rum-Destillerie feiert jetzt 80. Geburtstag. Gegründet hat sie der Großvater von Laurie Barnard, der den Familienbetrieb verkaufte, nun aber als Manager fortführt.

Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss, und einen Barnard kriegt er nicht unter, der ökonomische Wandel. Die Inselwirtschaft ist zügellos wie die Passatwolken. Je nachdem laufen Zuckerrohr, Bananen, Tourismus oder die Filmindustrie. Nahe der früheren Hauptstadt Soufrière wurde Superman II gedreht. Eine Tauchstelle heißt "Superman’s Flight". Dort stürzte sich der Comic-Held von den Klippen dem Korallengürtel entgegen, zu violetten Vasenschwämmen und goldgesprenkelten Aalen. Ringsherum der schönste Strand – auf ins Saint- Lucia-Lummerland.