Im französischen Lothringen lassen sich Bewegung und Genuss verbinden

Bis in jeden Winkel scheint die Region Lothringen mit der Geschichte verwoben. Doch wo Maas und Mosel Frankreich passieren, lohnt nicht allein die historische Spurensuche. Zu Fuß oder mit dem Rad kommen Besucher der Region wirklich nahe. Und dürfen auch ihre Köstlichkeiten unbeschwert genießen.

Die Mirabellen, die dem Gast im Jardin de Lorraine serviert werden, schmecken so süß und saftig, dass sie kaum als Trockenfrüchte durchgehen. Lothringen ist Mirabellenland. Die kleinen gelben Pflaumen sind das kulinarische Wahrzeichen der Region. Was für die Provence die Oliven, sind für Lothringen die Mirabellen. Tatsächlich reifen rund 70 Prozent der weltweiten Ernte auf den Bäumen in Lothringen.

Ganz klar, dass die "Königin der Früchte" in vielen Spezialitäten der Region weiterverarbeitet wird. Auch als touristisches Marketinginstrument hat sie sich ihren festen Platz erobert: Mirabellen-Feste, Mirabellen-Königin und Mirabellen-Souvenirs. Seit neustem gibt es auch einen Mirabellen-Rad-und-Wanderweg. Auf 77 Kilometern schlängelt er sich westlich von Metz durch den Obstgarten Lothringens, wo rund 650 Hektar Anbaufläche allein dem fruchtigen Wahrzeichen vorbehalten sind.

Wer den Rundweg nicht mit dem Rad, sondern zu Fuß bereisen möchte, sollte seine Tour im Vorfeld genau planen. Denn nicht hinter jedem Mirabellen-Hain lauert ein Gästezimmer oder gar ein Hotel. Zwischen die sanften Hügel der Lorraine schmiegen sich kleine Dörfer – darüber liegt Stille. Der Radwanderer sammelt Eindrücke, die an fast vergessene Zeiten erinnern. Tränendes Herz rankt keck durch den Gartenzaun, der Dorfhund begrüßt jeden Fremden schwanzwedelnd, im Vorgarten macht sich ein Mann halb unter dem Wagen liegend an seinem alten Peugeot zu schaffen. Viele Orte am Wegesrand haben mittlerweile weder Bäcker, Metzger noch eine Post. Das hätte es so in Frankreich früher nicht gegeben.

Um so mehr fällt am Ortsrand von Viéville-sous-les-C�'tes das Holzschild mit der Aufschrift "Ouvert" sofort ins Auge. Drei Steinstufen führen hinab in ein altes Kellergewölbe, wo die Brüder Bertrand und Jean-Marie Blanpied ihren Gästen Wein kredenzen. Eigenen Wein wohlgemerkt. Angebaut und erzeugt in der Appellation C�'tes de Meuse.

Zehn Winzer an den C�'tes de Meuse teilen sich 40 Hektar Weinberge. Fünf Hektar davon bewirtschaften die Brüder Blanpied, deren Vater das Weingut in der 1970er Jahren wiederbelebt hatte. "Früher hat es überall in Lothringen Weinbau gegeben", sagt Bertrand Blanpied. Im 19. Jahrhundert verschwanden die Rebhänge nach und nach, die Generation seines Vaters leistete vor 40 Jahren Pionierarbeit.

Seit die besonderen Weine von der Meuse (französisch für Maas) auch bei internationalen Verkostungen Medaillen errungen haben, seien sie auch über die Region hinaus bekannt, sagt Véronique Lienard, die mit ihrem Mann Jean Marc und Sohn Thiebault im benachbarten Combres-sous-les-C�'tes den größten der zehn Winzerbetriebe an der Meuse unterhält.

Doch ohne die Mirabellen geht auch bei den Weinbauern nichts. Anders als bei den Trauben müssen sie den größten Teil der gelben Zwetschgen an die Mirabellen-Kooperativen wie den Jardin de Lorraine abführen. Fünf solcher Kooperativen gibt es in Lothringen.

Beginnt man seine "Tour de Mirabelles" im östlichen Zipfel des Weges, kann man beispielsweise in den hübschen Gästezimmern von Andreé Battavoine in Saint-Maurice-sous-les-C�'tes (www.chambredhotemeuse.com) logieren und zum Auftakt und Abschluss auch die Maas-Weine verkosten.

Wer dem Weg im Uhrzeigersinn folgt, radelt zunächst abwechselnd an Weinhängen und Mirabellenwiesen vorbei. Holzschilder mit dem Mirabellen-Logo weisen den Weg allerdings nicht immer zuverlässig. Es empfiehlt sich, die dazugehörige Karte "Meuse à vélo" bei der Tourist-Information im Vorfeld anzufordern (www.tourisme-meuse.com).

Der größte Teil des Weges führt auf kleinen Wegen und Straßen durch die stillen Hügel Lothringens. Größere konditionelle Herausforderungen gibt es kaum, mit einem guten Tourenrad ist der Radwanderer bequem unterwegs.

Lohnenswert ist ein kurzer Abstecher vom kleinen Städtchen Vigneulles-lès-Hattonchâtel auf das Hochplateau von Hattonchâtel. Von dort hat man einen wunderbaren Blick über Lothringens Obstwiesen. In der 100-Seelen-Gemeinde kümmert sich Klaus Christoph aus Göttingen seit neun Jahren als Küster um die sehenswerte kleine Kirche aus dem 15. Jahrhundert. Er war einst im Rahmen der Kriegsgräberfürsorge, später der Liebe wegen nach Lothringen gekommen.

Die Kriegsgräberfürsorge ist noch immer ein großes Thema für eine Region, die im Ersten Weltkrieg zum europäischen Schlachtfeld wurde. Bis heute sei die Historie für die meisten Touristen die Eintrittskarte nach Lothringen, sagt Christel Rigolot vom Tourismusverband des Départements Meuse. Rund 400 000 Besucher kommen jedes Jahr nach Verdun. Die meisten sind Franzosen, gefolgt von Belgiern, Niederländern, Engländern und Deutschen.

Für einen Stopp mit Übernachtung auf dem Mirabellenweg bieten sich Lacroix-sur-Meuse oder Dieue-sur-Meuse (mit kleinem Abstecher verbunden) an. In beiden Orten gibt es ein Hotel (www.aubergedelapechealatruite.com, www. chateaudesmonthairons.fr) und damit die Gelegenheit, am Abend auch die Köstlichkeiten der Region zu genießen.

Aber aufgepasst, wer in Lothringen ein Restaurant besucht, sollte unbedingt einen großen Appetit mitbringen. Die Lothringer sind großzügige Gastgeber, und schon die Vorspeise hat nicht selten das Ausmaß eines Hauptgerichts.

Probieren sollte man neben der bekannten Quiche Lorraine auch die Trüffel, das Bier, die Wurstwaren der Region und natürlich die unzähligen Varianten der Mirabelle.