Kreuzfahrten: Norwegen ist das Land, in dem Neptun duscht und Trolle Leitern bauen – und in dem im Sommer die Sonne nicht untergeht.

Hast du nicht zugehört?"

Doch, eigentlich schon. Ertappt fühlt man sich ja trotzdem immer irgendwie ein bisschen. Aber so eine Angel ist ein ziemlich kompliziertes Gerät: Auswerfen, Leine abspulen – auf den großen Fang hoffen. Zumindest bei den Punkten eins und zwei kann man prima Fehler machen. Da fragt man doch lieber noch einmal nach, auch wenn es einem die Verlegenheitsröte ins Gesicht treibt.

Es ist noch Zeit. Hier, hoch oben nördlich des Polarkreises inmitten norwegischer Einöde, scheint es ohnehin reichlich davon zu geben. Auch wenn die Hurtigruten – die legendäre Postschiffverbindung zwischen Bergen und Kirkenes – tatsächlich nach einem Fahrplan fahren. Um vier Uhr am Morgen wird die Midnatsol in Bodø erwartet – viel Zeit, auf den großen Fang zu hoffen.

Leise und zufrieden tuckert die Fram über das Wasser. Herr über die – oder besser: "den" See – ist Kjell-Johan Lund. "Man sieht ihm die Geschichte der Region an", hatte Tochter Elizabeth kurz zuvor beim Abendessen noch erzählt. Eigentlich nicht. Noch nicht einmal die 75 Jahre seiner eigenen Geschichte. Wache Augen, naturgegerbte Haut, große Hände.

Lund hat hier nördlich von Bodø sein Leben als Fischer verbracht, und er lädt ein, es ihm gleich zu tun. Für ein paar Stunden in der Nacht. Warum nicht? Es ist eine traumhafte Kulisse, und hell ist es auch. Irgendwo über den Wolken steht die Mitternachtssonne.

Sie mag sich ein wenig hängen lassen haben, aber untergegangen ist sie nicht. Der Tag hat sich nicht schlafen gelegt, und auch bei einem selbst schwindet mit jeder Minute der Glaube, Schlaf finden zu können. Also raus aufs Wasser. Fischen. Die Fram ist – im Gegensatz zur MS Fram der Hurtigruten-Flotte – ein kleines Boot, das mit knapp einem Dutzend Angeln überfüllt zu sein scheint.

Doch auch ihre Benutzer passen noch aufs Boot. Nur dass bis auf Kjell-Johan Lund noch keiner jemals so eine Angel ausgeworfen hat. Kurz und knapp erklärt der lustig-sympathische alte Kauz, was er erwartet – wesentlich erscheint aber vor allem, beim Auswerfen die geschätzten Kollegen neben und hinter einem nicht einzufangen. Es gelingt. Ein Wunder.

Der Rest ist Schweigen. Ruhe. Natur. Seeadler. Die Sonne macht die Nacht zum Tag, es ist ein Uhr morgens. Fische? Fehlanzeige. Kjell-Johan Lund nimmt es mit undurchdringlicher Miene zur Kenntnis. Ein Schmunzeln kräuselt die ganze Zeit auf seinem Gesicht. Ist es Belustigung? Mitleid? Mühe gibt er sich jedenfalls, kurvt mit seiner Fram über den See, immer dorthin, wo sein technisches Gerät ganze Schwärme vermutet.

Am Ende zappeln tatsächlich zwei Prachtexemplare in einem Eimer voll Wasser. Noch ein Wunder. Auch wenn man nicht selbst erfolgreich war, es fühlt sich trotzdem gut an. Lund ist erleichtert, seine Frage, ob wir zurück zum Ufer wollen, klingt eher nach einer Aufforderung zur Kapitulation. Er hat Recht. Wir tuckern zurück zum Ufer, die Fram zerteilt das spiegelglatte Nass in zwei Teile.

Kaum zu glauben, dass nur wenige Kilometer weiter der Saltstraumen tobt, der stärkste Gezeitenstrom der Welt. Durch einen nur 150 Meter breiten Sund zwischen den Inseln Straumen und Straumøy zwängen sich im Wechsel der Gezeiten 400 Millionen Kubikmeter Wasser in die Meerenge hinein und heraus – 40 Kilometer pro Stunde schnell. Es entstehen gewaltige Strudel.

Es ist vier Uhr morgens in Bodø, der 40000-Einwohner-" Metropole" mitten im norwegischen Nichts. Die Sonne muss nicht aufgehen, weil sie gar nicht untergegangen ist. Das Postschiff legt an – pünktlich. Mit ihm geht es gen Süden. Dahin, wo die Nächte wieder länger werden – wo man überhaupt mal wieder so etwas wie Nacht vermutet.

Es ist halb fünf, die Augen sind zu. Damit ist es tatsächlich dunkel. Kurz. Ein Probealarm für die Schiffscrew lässt einen aufschrecken. Ein wenig liebevoller Weckruf, aber er kommt zur rechten Zeit.

Wenige Minuten später geht es über den Polarkreis. Neptuns Dusche bleibt einem aber – Jupiter sei Dank – erspart. Denn wer zum ersten Mal den Polarkreis überfährt, bekommt an sich eine Ladung eiskaltes Wasser in den Nacken geschüttet. Von Neptun persönlich. Muss ja nicht sein. Wach ist man ohnehin. Zeit, die zerklüftete norwegische Küste zu genießen. Zwischen Kirkenes im Norden und Bergen im Süden liegen knapp 2500 Kilometer und 34 Häfen.

Hurtigruten fährt sie fahrplanmäßig an, einmal am Tag kann man gen Norden fahren, einmal in Richtung Süden. Man ist Passagier auf einem Post- und Frachtschiff, manchmal bekommt man es gar nicht mit, wie auf der "Midnatsol". Das mächtige Schiff hat Kreuzfahrtcharakter – das sieht zum Beispiel bei der MS Lofoten etwas anders aus. Die kleine Nussschale wiegt sich in den Wellen. Erinnerungen kommen hoch, auch wenn der Vergleich mit der Fram von Käpt’n Kjell-Johan Lund hinkt.

Trotzdem: Die "Lofoten", eines der ältesten Schiffe der Hurtigruten-Flotte, vermittelt echtes Seemannsleben: Tische und Stühle sind vorsichtshalber angekettet. Eng ist es an Bord, mit rauer Schale und herzlichem Kern – und mit Dusche und WC auf dem Gang. Nicht immer, aber kommt vor. Nix mit Kreuzfahrt-Luxus. "Viele buchen gerade deswegen die ,Lofoten’", grinst Seebär Harald Weinreich, ein waschechter Berliner.

Klein, mit stattlichem Bauch – und die Verkörperung der Schale mit dem besagten Kern. "Und die allermeisten kommen wieder." Man kennt sich – die Mannschaft und ihre Passagiere. Gerade auch Harald Weinreich. Denn der ist auch immer an Bord der MS Lofoten. "Die meisten meiner Kollegen genießen doch lieber die Vorzüge der größeren und jüngeren Schiffe". Er kann es nicht verstehen, manch anderer vielleicht schon.

Es geht hinein in den Geiranger-Fjord, der selbst die kleine Nussschale ruhig stellt. Geiranger selbst ist ein Dorf mit nur 300 Einwohnern. In den Sommermonaten werden hier rund 700000 Touristen durchgeschleust: Die sich mit der Trollfigur fotografieren lassen – oder im Landesinneren auf die Suche nach den echten Fabelwesen gehen wollen. Sogar Verkehrsschilder warnen: Nicht vor Wild-, sondern vor Trollwechsel. Und sie haben gebaut: Eine mächtige Trollleiter, 20 Kilometer südlich von Åndalsnes ins Felsmassiv geschlagen.

In elf Haarnadelkurven geht es mit zwölf Prozent Steigung hinauf zur Passhöhe oder von dort hinunter. Trollstigen – schwindelerregend. Die "Lofoten" ist dann längst verschwunden. Aber man hat Zeit in Norwegen, und das nächste Hurtigruten-Schiff kommt bestimmt. Das will der Fahrplan so.

Mit der "Vesterålen" geht es weiter Richtung Bergen. Gen Süden. Der Nacht entgegen.