Salzgitter. 2015 wurden 106 Delikte gemeldet, 2016 schon 219 Fälle – und der Trend setzt sich fort.

Schlagen Salzgitters Männer ihre Partnerinnen häufiger? Die Zahlen aus der Kriminalstatistik könnten diese Vermutung nahelegen. 219 Fälle von häuslicher Gewalt in allen Teilen der Stadt verzeichnete sie für das Jahr 2016 – mehr als doppelt so viele Fälle wie 2015. Im mittelfristigen Vergleich bedeutet das sogar eine Steigerung von 123,47 Prozent gegenüber dem Fünf-Jahres-Mittelwert von 98 Einsätzen. Immer häufiger ist zudem Alkohol im Spiel: nämlich in rund einem Drittel der Fälle. Der Anstieg in Salzgitter liegt zudem weit über dem Bundesschnitt liegt: Deutschlandweit stieg die Zahl der gemeldeten Fälle zwischen 2012 und 2015 lediglich um 5,5 Prozent.

Und der Trend setzt sich im laufenden Jahr fort, erklärt Sabine Goldfuß, Sprecherin der Polizeiinspektion Salzgitter. Die bisherigen Fallzahlen des Jahres 2017 weisen in eine ähnliche Richtung wie die des Vorjahres.

„Ich habe nicht das Gefühl, dass es mehr Gewalt gibt. Aber vielleicht ist die Sensibilität größer.“
„Ich habe nicht das Gefühl, dass es mehr Gewalt gibt. Aber vielleicht ist die Sensibilität größer.“ © Ulrike Hennies, Beratungs- und Interventionsstelle gegen Gewalt.

Doch woher rührt die Entwicklung in der Stadt? Bei der Polizei hat man bislang keine schlüssige Erklärung – Inspektionsleiter Wilfried Berg und Kripo-Chef Bernhard Bergmann zeigten sich bei der Vorstellung der Zahlen selbst erstaunt über das Ausmaß des Zuwachses. Man könne nur hoffe, sagte Bergmann, dass schlicht die Bereitschaft zur Anzeige gestiegen sei.

Eine ähnliche Erklärung findet Sozialpädagogin Ulrike Hennies von der Beratungs- und Interventionsstelle gegen Gewalt (BISS). Die Einrichtung, die es seit dem Jahr 2004 gibt, wird von der Polizei informiert, wenn häusliche Gewalt auftritt. „Ich habe nicht das Gefühl, dass es mehr Gewalt gibt.“

Hennies vermutet vielmehr, die Sensibilität für das Thema könnte gestiegen sein seit dem Jahr 2002. Damals erst wurde das Gewaltschutzgesetz eingeführt, das der Erkenntnis Rechnung trug, dass Gewalt im familiären Umwelt keine Privatsache ist. Die Sozialpädagogin beobachtet: „Die Meldungen von Gewalt durch Nachbarn nehmen zu.“

Warum die Salzgitteraner so viel aufmerksamer sein könnten, als der Bundesschnitt, bleibt jedoch rätselhaft.

Einem Zusammenhang mit der stark gestiegenen Zahl von Flüchtlingen in der Stadt – und teils verbreiteteren patriarchalen Strukturen in einigen der Herkunftskulturen – widersprechen sowohl die Polizei als auch die BISS. „Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in der Beratungsstelle ist bislang nicht auffällig hoch“, sagte Sozialpädagogin Hennies. Ähnlich schildern es die Polizisten Berg und Bergmann. „Ihr Anteil an den Fallzahlen ist nicht überproportional. Bislang fällt das kaum ins Gewicht“, so Berg.

Eines jedoch ändert sich kaum: Hauptleidtragende von Gewalt in der Partnerschaft bleiben Frauen. Hennies schätzt den Anteil weiblicher Opfer auf rund 90 Prozent.