Karlsruhe. Auch das zweite NPD-Verbotsverfahren scheitert. Das Verfassungsgericht stuft sie als verfassungsfeindlich, aber bedeutungslos ein.

Als nach zwei Stunden alles vorbei ist, die NPD Teil dieser Parteienlandschaft bleibt, ruft einer aus dem Tross der Rechtsextremen auf die andere Seite des Gerichtssaals: „Caffier, trittst du jetzt zurück?“ Lorenz Caffier ist Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern und einer der Landespolitiker, der die Neonazi-Partei unbedingt verbieten wollte.

Caffier war nach Karlsruhe gereist, genauso wie andere Spitzenpolitiker der Länder, allen voran die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, derzeit Präsidentin des Bundesrats. Das Gremium der Länder hatte den Verbotsantrag gestellt. Doch das Verfassungsgericht hat die NPD – einstimmig – nicht verboten. Der Bundesrat scheitert. Erneut.

300 Seiten ist das Urteil lang – die Richter gehen detailliert auf die Hetze der NPD ein, deren Aktionen vor allem in ostdeutschen Gemeinden und deren anti-demokratisches Weltbild. Doch die Richter sagen: Die Partei sei zu schwach, um gefährlich für die Demokratie zu werden.

Warum verzichtet das Gericht auf ein Verbot?

Die Richter nennen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands klar verfassungsfeindlich. Doch das allein reiche nicht aus. Das entscheidende Argument gegen ein Verbot der Neonazi-Partei sei ihre Schwäche. Die Ideologie sei „menschenverachtend“ und darauf gerichtet, die Demokratie abzuschaffen – doch das Erreichen ihrer Ziele „völlig aussichtslos“, heißt es im Urteil des Zweiten Senats unter dem Vorsitzenden Andreas Voßkuhle.

Die Neonazi-Partei, die auch vom Verfassungsschutz beobachtet wird, arbeite planvoll und mit hinreichender Kraft auf „die Einheit von Volk und Staat“ hin, wie sie auch die Nationalsozialisten gefordert hatten. Minderheiten und ethnische Gruppen würden in Programm, Reden und Aktionen der NPD erniedrigt. Mehr als eine halbe Stunde lang zitiert das Gericht Hassparolen und der NS-Ideologie „wesensverwandte“ Propaganda der NPD.

Doch diese Ziele seien für die NPD nicht zu erreichen, ihre zerstörerische Kraft für die Demokratie sei marginal. Weniger als 6000 Mitglieder hat die Partei derzeit, sie ist bei den Wahlen mittlerweile aus allen Landesparlamenten geflogen, in den Kommunen stehen ihre Chancen für Bündnisse schlecht.

Zudem schwächeln die NPD-Kampagnen – weil die Kassen der Partei chronisch leer sind und die Konkurrenz am rechten Rand wächst. Auch der Schulterschluss mit gewaltbereiten Kameradschaften oder anderen Neonazi-Gruppen zu einer rechtsextremen „Volksfront“ gelingt der Partei laut der Karlsruher Richter nicht. Dass Gewalt zur Strategie der NPD gehöre, lasse sich nicht nachweisen.

Das Verbot nach Artikel 21 des Grundgesetzes sei „kein Gesinnungs- oder Weltanschauungsverbot“, sagt Richter Voßkuhle. Notwendig sei ein „Überschreiten der Schwelle zur Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch die Partei“. Diese Schwelle ist laut Gericht nicht erreicht.

Warum haben es die Länder überhaupt ein zweites Mal versucht?

Wer die Motive der Landesregierungen verstehen will, muss zurückgehen in der Zeit: in den Dezember 2012, als die Länder – mit Ausnahme der Enthaltung Hessens – einen Verbotsantrag beschlossen. Deutschland stand unter dem Schock des Rechtsterrors durch den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU), der zehn Menschen ermordete. Die NPD war damals wie heute die stärkste Neonazi-Partei. Als Konsequenz aus den Pannen und Fehlern der Ermittler bei der Aufklärung der NSU-Morde, sollte die NPD wieder genauer durch die Sicherheitsbehörden überwacht werden.

Zudem ist aus Sicht der Länder bis heute die NPD in einigen Orten vor allem Ostdeutschlands treibende Kraft hinter Hetze und Drohungen gegen Anwohner, Politiker und Vereine, die sich für Flüchtlinge einsetzen. Die Innenminister sammelten ab 2012 erneut Belege für ein Verbot – diesmal ohne Spitzel in der Parteiführung der Extremisten. Denn aufgrund von sogenannten V-Leuten in der NPD war der erste Anlauf für ein Verbot im Jahr 2003 gescheitert.

Das Gericht konnte damals nicht auseinanderhalten, welche Aktionen der Partei vom Staat selbst durch die V-Leute beeinflusst waren. Elf Spitzel aus der NPD-Führung zog der Verfassungsschutz vor dem zweiten Verfahren ab. Das Gericht erkennt die Bemühungen der Länder in ihrem Urteil an. Ihre Position aber teilt es nicht.

Erlebt die NPD jetzt einen Aufschwung?

Die Neonazis feiern den erneuten Sieg vor Gericht. Es stehe „zwei zu null für Deutschland“, kommentiert NPD-Anwalt Peter Richter das Urteil. Auf ihrer Facebook-Seite nennt sich die Partei „zweifacher Verbotsverfahrenssieger“. Doch der NPD wird das Urteil in Karlsruhe keinen neuen Mitgliederzuwachs bescheren, ihre Ergebnisse bei Wahlen wird die Entscheidung kaum zum Besseren beeinflussen.

Seit Jahrzehnten stagniert die Partei auf niedrigem Niveau. Und doch: Das Scheitern der von den Neonazis verhassten Landesregierungen ist zumindest ein moralischer Triumph. Extremisten werden weiter Hass predigen und gegen Flüchtlinge wettern – mit der Gewissheit, dass ihnen vorläufig kein Verbot mehr droht.

Wie kann man extremistische Parteien wirkungsvoll bekämpfen?

Jedenfalls kaum mit Verboten. Das ist eine Lehre aus dem gescheiterten Verfahren in Karlsruhe. Solange eine Partei nicht bedeutend auf der Straße oder in Parlamenten vertreten ist und ihre verfassungsfeindliche Ideologie gar in Gesetzen mündet, scheint ein Verbot fast ausgeschlossen. Die Verfassungsrichter vertrauen dagegen auf „die Kraft der Auseinandersetzung als wirksamste Waffe auch gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien“, heißt es im Urteil. Sprich: Sie fordern Politiker und Initiativen zum Einsatz gegen Extremisten wie NPD-Leuten auf – allerdings mit Argumenten.

Dafür fordern Aussteiger-Initiativen und Vereine in den Gemeinden mehr Geld und Einsatz auch von der Politik. Die Regierung von Union und SPD will das Engagement gegen Extremisten schon lange stärken, doch ein vor Jahren im Koalitionsvertrag angestrebtes Gesetz zur Förderung von Demokratie ist immer noch nicht verabschiedet. Mittel des Staates für Projekte etwa gegen Rassismus bleiben zeitlich begrenzt, der bürokratische Aufwand für die Organisationen vor Ort hoch.

Begeht ein Extremist eine Straftat, muss dies auch aus Sicht des Gerichts durch Polizei und Justiz ermittelt und bestraft werden. Doch auch hier zeigen sich gerade im Kampf gegen Rechtsradikale die Schwächen des Staates: Nur wenige der Dutzenden Brandstiftungen etwa gegen Asylunterkünfte konnten Polizisten aufklären; in wenigen Fällen führen Gewalttaten auch zu Urteilen gegen die Täter.

Welche Pläne gibt es für die Parteienfinanzierung?

Etwa 1,4 Millionen Euro erhielt die NPD allein in 2014 vom Staat. Das geht aus dem aktuellen Rechenschaftsbericht hervor. Steuergeld, mit dem die Partei auch ihre Hetze finanziert. Dieses Privileg der Parteienförderung können die Neonazis nun genauso wie andere Parteien weiterhin in Anspruch nehmen.

Die Richter verwiesen in ihrem Urteil jedoch gezielt darauf, dass nicht das Gericht, sondern der Gesetzgeber über die Finanzierung entscheide. Sprich: Der Bundestag könne durch eine Änderung des Parteiengesetzes Extremisten den Geldhahn abdrehen. Politiker wie der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und dessen nordrhein-westfälischer Kollege Ralf Jäger sprachen sich schon kurz nach der Urteilsverkündung für eine Prüfung der Parteienfinanzierung aus.