Berlin. Sind ältere Autofahrer ein Sicherheitsrisiko? Versicherungen fordern eine verpflichtende Kontrollfahrt an der Seite eines Fahrlehrers.

In der vergangenen Woche meldete die Polizei folgende Unfälle: In Reutlingen fuhr ein 89 Jahre alter Autofahrer in das Ende eines Staus, weil er zu spät bremste. In Lippstadt nahm eine 86-jährige Frau einem 26-Jährigen die Vorfahrt. Die Folge: Totalschaden an beiden Autos. Und in Lüneburg kam eine 86 Jahre alte Fahrerin in einer Rechtskurve von der Fahrbahn ab – vermutlich weil sie am Steuer einen Herzinfarkt erlitt.

Die Meldungen sind zufällig gewählt, sie illustrieren aber einen Trend: Autofahrer werden immer älter. Angesichts der demografischen Entwicklung ist das logisch, es hat aber Folgen für den Straßenverkehr. Auch die Versicherungen, die Unfallschäden begleichen müssen, machen sich Sorgen. Auf dem wichtigsten Treffen von Verkehrsexperten, dem Verkehrsgerichtstag in Goslar, wird das Thema „Senioren im Straßenverkehr“ in der nächsten Woche diskutiert. Es geht darum, ob und wie Senioren die Grenzen ihrer Fahrtüchtigkeit erkennen können.

Senioren verursachen weniger Unfälle als Anfänger

Unfallforscher Siegfried Brockmann
Unfallforscher Siegfried Brockmann © imago/Jürgen Heinrich | imago stock&people

„In den nächsten 30 Jahren wird sich der Anteil der über 80-Jährigen an der Bevölkerung verdoppeln“, sagt Siegfried Brockmann, Chef der Unfallforschung beim Versicherungsverband GDV. Er glaubt, dass „die absolute Zahl der von Senioren verursachten Unfälle zu einem Problem werden“ wird und will in Goslar eine mögliche Lösung präsentieren. Brockmann denkt langfristig. Er will sich dem heiklen Thema vorsichtig nähern.

Aktuell erscheint der Handlungsdruck gering. Die amtliche Unfallstatistik zeigt, dass alte Autofahrer seltener für einen Unfall mit Personenschaden verantwortlich sind als junge Fahranfänger: Im Jahr 2015 wurden exakt 20.303 Fahrer im Alter über 75 Jahre als Unfallverursacher registriert. In der Hochrisikogruppe der Fahranfänger, also der 18- bis 21-Jährigen, waren es dagegen rund 5000 mehr. Das ist ein deutlicher Abstand, auf den auch das Bundesverkehrsministerium hinweist.

Ältere Autofahrer sind oft schuld

Unfallforscher Brockmann kennt die Zahlen. Er betrachtet sie aber anders, indem er sie ins Verhältnis zueinander setzt. Das Ergebnis: Die Unfälle, an denen Senioren über 75 Jahre beteiligt waren, haben sie zu 75 Prozent selbst verursacht. Betrachtet man dagegen Fahranfänger zwischen 18 und 21 Jahre, dann verursachten sie ihre Unfälle nur zu 70 Prozent selbst.

Für Brockmann sind genau diese beiden Zahlen der Anlass, sich Gedanken darüber zu machen, was passiert, wenn immer mehr Senioren immer länger Auto fahren. Das Problem müsse man angehen, sagt er. Die Frage ist nur: wie?

Keine neue Fahrprüfung

Mediziner haben bisher keinen Grund gefunden, Menschen ab einem bestimmten Alter grundsätzlich die Fahrtüchtigkeit abzusprechen – Fälle von Demenz einmal ausgeschlossen. Tatsächlich haben ältere Autofahrer oft viel Erfahrung. Sie fahren seltener zu schnell und verschätzen sich nicht beim Überholen. Aber auch das zeigen Studien: Sie erfassen komplexe Situationen langsamer und reagieren später als junge Fahrer. Bestes Beispiel: Die Zahl der Verstöße gegen Vorfahrtsregeln nimmt mit dem Alter des Fahrers zu. Wie also kann die Fahrfähigkeit getestet werden?

Unfallforscher Brockmann glaubt, dass kein noch so ausgefeilter theoretischer Test weiterhelfen wird. „Auskunft geben kann nur eine Testfahrt im realen Verkehr mit einer geschulten Begleitperson“, sagt er. Dies könnten besonders ausgebildete Fahrlehrer sein. Die Fahrt solle aber keine neue Fahrprüfung werden, sondern nur eine Anregung zum Nachdenken. „Wichtig ist, dass das Ergebnis der Testfahrt vertraulich bleibt und nur eine Empfehlung ist“, erklärt Brockmann. „Niemand soll anschließend gezwungen werden, seinen Führerschein abzugeben.“

Verkehrsminister schweigt zu den Vorschlägen

Niemand wolle die Mobilität von Senioren einschränken, sie sollten nur sicherer unterwegs sein, versichert der Versicherungsexperte. Aber: „Langfristig wird so eine Kontrollfahrt zur Pflicht werden müssen.“ Die Wahrscheinlichkeit sei einfach zu groß, dass ältere Fahrer freiwillig nicht mitmachen würden. Als Altersgrenze schlägt Brockmann 75 Jahre vor, ab diesem Zeitpunkt sei statistisch hinreichend bewiesen, dass die Fahrfähigkeiten abnehmen. Die Unfallforschung der Versicherer werde dieses Jahr beginnen, Standards für solche Fahrten zu entwickeln.

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) will sich zu dem Vorstoß nicht äußern.
Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) will sich zu dem Vorstoß nicht äußern. © dpa | Tobias Hase

In der großen Koalition in Berlin will sich noch niemand hinter diese Idee stellen. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) mag zum konkreten Vorschlag der Versicherer überhaupt nichts sagen. Man setze auf eine freiwillige Überprüfung der älteren Verkehrsteilnehmer, erklärt ein Ministeriumssprecher nur ganz allgemein. Pflichttests seien jedenfalls nicht geplant. Auch der CSU-Verkehrspolitiker Ulrich Lange unterstützt „jede Maßnahme, die geeignet ist, zur besseren Selbsteinschätzung von Senioren beizutragen.“ Zum konkreten Vorschlag will aber auch er sich nicht äußern.

Hausärzte sollen Fahrtüchtigkeit einschätzen

Der für Verkehr zuständige SPD-Fraktionsvize Sören Bartol gibt zu bedenken: „Das Auto verkörpert für viele ältere Menschen die Möglichkeit, sich im Alter selbstbestimmt mobil bewegen zu können.“ Man müsse das Thema deshalb sehr sensibel diskutieren. Bartol schlägt vor, dass die Hausärzte darauf achten sollten, ob Senioren noch in der Lage sind, Auto zu fahren: „Sie kennen die gesundheitliche Situation am besten und sollten im Zuge der Routinebesuche beraten und im Zweifel für eine freiwillige Rückgabe der Fahrerlaubnis werben“, fordert der SPD-Politiker.

Tatsächlich zeigt eine Umfrage der Versicherungen, dass Hausärzte und Kinder diejenigen sind, von denen ältere Menschen sich am ehesten etwas zu ihren Fahrfähigkeiten sagen lassen. Hausärzte können sich zu dem Thema inzwischen weiterbilden lassen. Eine Statistik des Kraftfahrtbundesamts zeigt aber: Im Jahr 2015 haben bundesweit nur neun Männer und vier Frauen über 65 Jahre ihren Führerschein freiwillig zurückgegeben.