Berlin. Diebstähle an Bahnhöfen und in Zügen nehmen dramatisch zu. Auch anderswo schlagen die meist polizeibekannten Täter immer häufiger zu.

Ein Moment der Ablenkung genügt, damit die beiden Taschendiebe zuschlagen können: Ein Täter stellt sich auf der Rolltreppe im Bahnhof hinter den Reisenden, der andere Täter vor ihn. Plötzlich bleibt der Vordere stehen, erzeugt einen Stau, der Mann hinter ihm läuft schimpfend auf. In diesem Moment greift der Komplize zu, stiehlt Wertsachen aus der Tasche des Opfers.

Vor dem „Rolltreppen-Trick“ und anderen üblen Methoden der Taschendiebe warnt die Bundespolizei schon länger – aber vergeblich: Die Zahl der Taschen- und Gepäckdiebstähle in Zügen und Bahnhöfen nimmt nach einer neuen Statistik dramatisch zu. Innerhalb von zwei Jahren registrierte die Bundespolizei einen Anstieg dieser Straftaten um 45 Prozent, wie die Behörde unserer Redaktion bestätigte. Und auch sonst schlagen Diebe in Deutschland immer häufiger zu: Die Zahl der Wohnungseinbrüche steigt ebenso rasant wie die der Ladendiebstähle – nur die niedrige Aufklärungsquote steigt nicht. Deutschland, das Land der Diebe?

Ohne Polizisten haben Kriminelle leichtes Spiel

Der Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow, sagte unserer Redaktion: „Wenn auf den Bahnhöfen weniger Bundespolizisten unterwegs sind, weil sie anderswo eingesetzt werden, dann haben Kriminelle leichtes Spiel“. Malchow macht eine alarmierende Rechnung auf: „Es fehlen heute jeden Tag 20.000 Polizisten auf den Straßen.“

Solche Straftaten werden vor allem auf Bahnhöfen und in Zügen immer öfter begangen. Dort stieg 2015 die Zahl der Taschen- und Handgepäckdiebstähle um satte 25 Prozent auf 44.800 Fälle – nachdem die Bundespolizei schon 2014 eine Zunahme um fast 20 Prozent registriert hatte. GdP-Chef Malchow sagt: „Wenn die Kriminellen bandenmäßig organisiert sind, wird es für die Polizei noch schwerer, die Täter zu fassen.“ Aber auch insgesamt nahm die Zahl der Taschendiebstähle vergangenes Jahr um immerhin sieben Prozent auf 168.000 Straftaten zu – die große Mehrzahl der Täter sind Ausländer.

Wie kann ich mich schützen?

Die Bundespolizei gibt auf ihrer Internetseite Tipps und Hinweise. Sie empfiehlt etwa, Geld, Kreditkarten, Papiere und andere Wertsachen immer eng am Körper zu tragen. Man solle nur so viel Bargeld mitführen wie nötig und mit dem Geld nicht offen hantieren. Keinesfalls sollte man die Wertsachen in Außentaschen aufbewahren, Hand- und Umhängetaschen sollten mit dem Verschluss zum Körper hin getragen werden. Grundsätzlich gelte: Immer Körperkontakt zum Handgepäck halten. Auf keinen Fall Jacken mit Wertgegenständen darin an die Garderoben oder über Stuhllehnen hängen. Die Aussicht, dass das Diebesgut wieder auftaucht, ist gering – die Aufklärungsquote bei Taschendiebstahl ist mit 5,9 Prozent so gering wie bei keiner anderen Straftat.

Was ist mit anderen Diebstählen?

Die Diebstahlskriminalität insgesamt nahm im vergangenen Jahr um 1,8 Prozent auf 2,48 Millionen Taten zu. Bei einzelnen Delikten ist der Anstieg aber viel höher – bei Wohnungseinbrüchen etwa oder Ladendiebstahl. Der Diebstahl von Fahrrädern war dagegen zuletzt leicht rückläufig, der von Autos stagniert. Beide Straftaten wurden 2015 aber jeweils rund 330.000-mal registriert, das Niveau ist also hoch.

Wie sicher ist meine Wohnung?

2015 wurden bundesweit 167.136 Wohnungseinbrüche registriert, fast zehn Prozent mehr als im Jahr zuvor. Die Zahlen nehmen seit 2006 kontinuierlich zu, das Risiko in Großstädten wie Berlin und Hamburg ist deutlich größer als auf dem Land. Und aufgeklärt wird nur jeder sechste Einbruch, in Großstädten noch weniger. Deshalb ist inzwischen auch die Politik alarmiert.

Warum nehmen Einbrüche zu?

„Gerade hier zeigt sich die Zunahme reisender Tätergruppen aus Südost- und Osteuropa“, sagt Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Die Chefs dieser organisierten Bandenkriminalität sitzen in Georgien, auf dem Balkan, in Russland – und sind nur schwer zu fassen. Auch GdP-Chef Malchow sagt: „Wir haben es sehr häufig mit Banden aus Osteuropa zu tun. Die nutzen die Freizügigkeit und unsere gute Infrastruktur, um in Tagesfahrten etwa aus Polen Wohnungseinbrüche in Deutschland zu begehen.

Aber auch die Gelegenheiten werden mehr: Es gibt eine immer höhere Zahl von Haushalten, in denen tagsüber niemand anwesend ist. Zudem sind viele Haushalte heute mit hochwertigen, aber leicht zu transportierenden Konsumgütern ausgestattet: Smartphones, Tablets oder Digitalkameras sind klein, kompakt und teuer – ideal für Diebe und Hehler.

Wie viele Täter sind Ausländer?

Bei Diebstahlskriminalität spielen Ausländer eine große Rolle, wenn es überhaupt Erkenntnisse über die Täter gibt. Knapp 38 Prozent der ermittelten Tatverdächtigen bei Diebstählen waren 2015 Ausländer – vor allem aus Serbien, Rumänien, der Türkei und Albanien. Bei Taschendiebstählen liegt der Ausländeranteil sogar bei knapp 76 Prozent.

Was kann ich gegen Einbruch tun?

Nachrüsten. Verriegelungsanlagen und die Sicherung von Fenstern oder Türen können Täter abschrecken. Über 40 Prozent der Einbruchsversuche werden inzwischen abgebrochen. „Das zeigt, dass passiver Schutz hilft“, sagt de Maizière. Die Bundesregierung fördert solche Investitionen über die Staatsbank KfW mit bis zu 1500 Euro – die Nachfrage ist so groß, dass die Mittel für 2016 bereits aufgebraucht sind. Eine andere Abschreckung für Diebe gibt es meist umsonst: Aufmerksame Nachbarn.

Wird in Läden mehr gestohlen?

Ja, 2015 nahm die Zahl der erfassten Ladendiebstähle um sieben Prozent auf 391.000 Fälle zu. Der Einzelhandel klagt über einen Anstieg vor allem durch gewerbsmäßige Bandendiebstähle. Früher klauten oft Gelegenheitstäter, aber die verschärften Sicherheitsmaßnahmen im Handel sind zunehmend nur durch organisierte Tätergruppen zu überwinden – die Banden kommen aus Georgien, vom Balkan und Nordafrika.

Was tut die Bundesregierung?

Sie hat das Problem erkannt. Das Förderprogramm zum Schutz gegen Einbrüche ist ein Beispiel, die Aufstockung der Bundespolizei um 3000 Stellen ein anderes. Union und SPD wollen die Sicherheitsbehörden weiter ausbauen und auch für mehr Polizeipräsenz sorgen. Aber die Politik verändere erst jetzt ihre Sicht auf das Thema, kritisiert GdP-Chef Malchow: „Wenn die Politik sich heute für mehr Personal entscheidet, wird das die Polizei bei den üblichen Verfahren erst in vier Jahren erhalten“, sagt er. Malchow beklagt auch, bei Diebstählen würden zu oft Verfahren eingestellt – auch weil Staatsanwaltschaften und Gerichte überlastet seien.