Berlin. Mit dem Tarifeinheitsgesetz will die Regierung kleinen Gewerkschaften Grenzen setzen.

Nach den massiven Streiks bei der Deutschen Bahn und der Lufthansa setzt die Bundesregierung kleinen Spartengewerkschaften jetzt enge Grenzen: Die Macht von Organisationen wie der Lokführergewerkschaft GDL soll per Gesetz beschränkt werden – deren Streiks könnten von Gerichten leichter untersagt, Tarifverträge unwirksam werden. Die kleinen Gewerkschaften laufen Sturm und drohen der Regierung mit Verfassungsklagen, Linke-Parteichef Bernd Riexinger spricht von „Streikbruch per Gesetz“.

Für die aktuellen Konflikte kommt das lange geplante „Tarifeinheitsgesetz“ wohl zu spät – doch wenn es nach Plan im Sommer 2015 in Kraft tritt, gerät vor allem die GDL mit ihrem Expansionskurs in Schwierigkeiten. Die Lokführer-Gewerkschaft kündigte prompt an, sie denke über eine weitere Streikwelle nach dem Ende der Streikpause am kommenden Sonntag nach.

Kernpunkt des Entwurfs, den Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) gestern vorstellte: Wenn in einem Betrieb in einer Berufsgruppe unterschiedliche Gewerkschaften um unterschiedliche Tarifverträge kämpfen und sich nicht einigen, soll am Ende das Mehrheitsprinzip gelten. Es würde auf Antrag per Gerichtsentscheid nur der Vertrag angewendet, den die Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern im Betrieb abgeschlossen hat.

Bei der Deutschen Bahn geht es genau um so einen Konflikt: Die GDL will auch für die bei ihr organisierten Zugbegleiter einen eigenen Tarifvertrag erkämpfen, doch für diese Gruppe hat bisher die größere Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG die Verträge ausgehandelt. In der Mehrzahl der einzelnen Bahn-Betriebe wäre die GDL im Konfliktfall wohl unterlegen, heißt es in Regierungskreisen. Käme es in solchen Fällen künftig dennoch zu Streiks der kleineren Organisation, wären die Arbeitsgerichte am Zug – die Richter dürften mit Blick auf die gar nicht wirksamen Tarifverträge die Streiks als unverhältnismäßig untersagen, wird in der Regierung kalkuliert.

Auch die kleinen Gewerkschaften sehen das so: „Ohne jede Chance auf einen wirksamen eigenen Tarifvertrag, würden Minderheitsgewerkschaften im Betrieb zum Stillhalten gezwungen“, warnt der Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Rudolf Henke. „Jeder Aufruf zum Streik wäre grob rechtswidrig.“ Nahles selbst deutet das Kalkül nur an: „Wenn Arbeitsgerichte künftig im Einzelfall einen Streik beurteilen, werden sie mit einbeziehen, ob der strittige Tarifvertrag überhaupt angewendet werden könnte.“

Mit diesem Vorgehen wähnt sich die Regierung auf der verfassungsrechtlich sicheren Seite. Anfang Dezember grünes Licht gegeben. Das Streikrecht selbst soll ausdrücklich nicht angetastet werden. Nahles meint, das Gesetz greife ohnehin nur als letztes Mittel, wenn die Tarifpartner eine Verständigung etwa auf abgegrenzte Zuständigkeiten oder gemeinsame Verhandlungen nicht erreichten. Nach Lesart des Arbeitsministeriums wäre der Pilotenstreik nicht von dem Gesetz betroffen, weil dort kein Streit um Zuständigkeiten von Gewerkschaften ausgetragen wird. Doch die Pilotenvereinigung Cockpit warnt, Nahles wolle Rechtsunsicherheit schüren und kleine Gewerkschaften handlungsunfähig machen. Der Beamtenbund wirft der Arbeitsministerin „politische Feigheit“ vor. Sie verberge ihre wahre Absicht, Streikrechte zu begrenzen, und setze stattdessen auf die Arbeitsgerichte.