Berlin. Jüngere Politiker rücken zunehmend in den Fokus. Wer steht in den Startlöchern?

Sie sind ehrgeizig: Nach
der Bundestagswahl und den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen stellen sich die Parteien neu auf. Dabei spielen jüngere Politiker, die bislang eher in der zweiten Reihe standen, ein große Rolle. Bei den Grünen stehen auf dem Parteitag Ende Januar bereits Vorstandswahlen an – und Robert Habeck und Annalena Baerbock haben, obwohl beide aus dem Realo-Flügel kommen, gute Chancen, die neue Parteispitze zu bilden. In der Union muss sich CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel auf stärkeren Gegenwind von CDU-Kritikern einstellen. CSU-Chef Horst Seehofer musste den Platz als bayerischer Ministerpräsident bereits räumen, will allerdings erst mal Parteichef bleiben. Und die SPD hat vor wenigen Tagen auf ihrem Parteitag ihre Führungsspitze neu gewählt.

Robert Habeck , 48, gern in Jeans und schweren Stiefeln unterwegs, ein kerniger Typ, Vater von vier Söhnen, ein Romanautor, der im Vergleich zu vielen Berufspolitikern unabhängig wirkt und auch mal ein Schimpfwort benutzt: Er könnte als Parteichef der neue starke Mann der Grünen werden. Bei der Urwahl um die Spitzenkandidatur der Ökopartei scheiterte der Umweltminister aus Schleswig-Holstein noch mit
75 Stimmen an Parteichef Cem
Özdemir. Jetzt tritt Özdemir ab – und Habeck will sein Nachfolger werden. In den Jamaika-Sondierungen ist er hart und unnachgiebig aufgetreten – so hat sich der Realo auch den Respekt des linken Flügels erarbeitet. Sein größter Vorteil: Er kann Wahlen gewinnen. In Schleswig-Holstein holte er bei den Landtagswahlen im Mai 12,9 Prozent.

Natascha Kohnenhat viele Grüne überrascht: Sie will. Und zwar Parteichefin werden – eine Kampfansage an Amtsinhaberin Simone Peter, die schon nach der Bundestagswahl erklärte, dass sie Vorsitzende bleiben möchte. Baerbocks Chancen stehen gut, auch wenn der linke Flügel sich aufregt, dass zwei Realos an die Spitze wollen. Der Grund: Simone Peter ist nach vier kraftlosen Jahren an der Parteispitze geschwächt. Der linke Flügel steht nicht mehr hinter ihr. Baerbock gehört mit 36 Jahren zu den ehrgeizigen jungen Frauen der Ökopartei. Die Mutter von zwei Kindern stammt aus Niedersachsen, lebt seit Längerem in Potsdam. Sie kennt den Westen und den Osten – was als Parteichefin von Vorteil wäre: In den neuen Bundesländern ist die Ökopartei immer noch schwach. In den Jamaika-Sondierungen hat sie sich einen Namen als harte Verhandlerin beim Thema EU gemacht, was ihr bei den Vorstandswahlen helfen könnte. Mit Baerbock an der Spitze würde die Partei einen Generationenwechsel vollziehen – und so vielleicht mehr junge Wähler überzeugen.

Alexander Dobrindt , 47 Jahre alt und Landesgruppenchef im Bundestag: An ihm kommt man in der CSU nicht mehr vorbei. Als Generalsekretär unter Parteichef Horst Seehofer organisierte Dobrindt, Vater eines Sohnes, den Wahlerfolg im Jahr 2013. Als Verkehrsminister gelang es ihm, das oft belächelte bayerische Projekt der PKW-Maut
in Berlin durchzusetzen. In den Jamaika-Sondierungen wagte er den Spagat zwischen der kühlen Analyse und sorgfältig vorbereiteten Ausbrüchen gegen die Grünen. Künftig wird er sich mit dem Chef der EVP-Fraktion, Manfred Weber, einen Kampf um den Vorsitz der CSU liefern, sobald Seehofer auch diesen Posten freigegeben hat. Dem designierten bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder steht der Oberbayer Dobrindt skeptisch gegenüber, er ist ein Seehofer-Mann. Doch die Tatsache, dass er in Berlin sitzt und entscheidenden Anteil an den Verhandlungen über eine Große Koalition hat, bedeutet einen taktischen Vorteil. Den wird der Soziologe Dobrindt zu nutzen wissen.

Jens Spahn hat es mit 37 Jahren in der CDU bereits weit gebracht. Er ist Parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium und Mitglied des CDU-Präsidiums. Und einer der wenigen Kritiker des Kurses von Merkel, der das intern und öffentlich auch klar äußert. Wenn Spahn, der in Berlin mit seinem Partner zusammenlebt, vor den anstehenden Gesprächen mit der SPD laut über eine Minderheitsregierung nachdenkt, dann hat das auch eine
taktische Variante: Merkel will keine Minderheitsregierung anführen, das hat sie mehrfach deutlich gemacht. Ihr geht es um Stabilität, auch um die ihrer eigenen Position. Als Dirigentin einer Minderheitsregierung würde sie mehr Angriffsfläche für ihre Kritiker bieten – das weiß auch Spahn. Dennoch hält sich der ehrgeizige Konservative mit allzu lauter Kritik zurzeit zurück. Denn er möchte im nächsten Kabinett gerne einen Ministerposten bekleiden – und da muss er auf die Unterstützung der Kanzlerin bauen.

Lars Klingbeil ist als Generalsekretär der SPD seit Freitag offiziell im Amt und mit 39 Jahren der Jüngste in der SPD-Spitze. Die meisten anderen Top-Sozialdemokraten sind um die 60. Trotzdem hat der Niedersachse viel Erfahrung: Vor 16 Jahren arbeitete er im Wahlkreisbüro von Ex-Kanzler Gerhard Schröder, sammelte Erfahrung in der Spitze der Landes-SPD und ist nun zum dritten Mal in den Bundestag gewählt worden. Als Generalsekretär muss er die Groko-Verhandlungen vorbereiten und parallel einen Wahlkampf planen, falls die Gespräche wieder scheitern. Klingbeils eigentliche Aufgabe ist die Erneuerung der SPD: Mitglieder sollen digital mitmachen können, ohne abends im Ortsverein sitzen zu müssen. Die SPD soll in Ostdeutschland wieder stärker werden. Klingbeils Terminkalender quillt gerade über, Zeit fürs Gitarrespielen hat er nicht. Auch Lebensgefährtin Lena und Katze Luci dürften ihn eher selten sehen.

Natascha Kohnen , 50, wird für die SPD immer wichtiger: Mit ihr an der Spitze will die Bayern-SPD im Herbst nächsten Jahres bei der Landtagswahl ein ordentliches Ergebnis einfahren. Und weil die Genossen auch bundesweit nicht übermäßig viele Frauen vorweisen können, ist Kohnen nun Vizechefin der Bundespartei. Bisher war die Mutter von drei Kindern vor allem in der bayerischen Landespolitik unterwegs. Sie will für bezahlbaren Wohnraum kämpfen und ist skeptisch, dass es bald eine Große Koalition im Bund gibt.