Berlin. Im Bundestag stimmen Union, FDP und Grüne das erste Mal gemeinsam ab. Schäuble mahnt zu Kompromissen.

Durch die Gänge des Reichstagsgebäudes zieht der Geruch von Entenkeule und Rotkohl. „Das Parlament ist handlungsfähig“, wird Außenminister Sigmar Gabriel später am Rednerpult sagen. Das gilt auch für die Kantine.

Es ist Tag zwei nach dem Jamaika-Knall. Der Bundestag hat seine erste reguläre Sitzung. Die Tagesordnung verheißt Routine, aber ohne Koalition und mit nur noch geschäftsführenden Ministern auf der Regierungsbank ist nichts Routine. So frei habe er sich als Abgeordneter noch nie gefühlt, sagt der SPD-Politiker Johannes Kahrs. Und tatsächlich gibt es keine vorgeschriebenen und vorhersehbaren Mehrheiten mehr.

Als der Bundestag am Nachmittag über einen Antrag der Bundesregierung abstimmt, heben ausgerechnet Union, FDP und Grüne gemeinsam die Hand – also die Jamaika-Koalition, die offiziell gar nicht zustande kommt. Es geht um den Euro-Rettungsfonds. Hätte der Bundestag nicht zugestimmt, hätte Deutschland den Fonds blockiert. „Das wäre verantwortungslos“, wirft der FDP-Abgeordnete Christian Dürr der SPD vor, die nicht zustimmen will.

Dabei lobt Parteichef Martin Schulz in seiner ersten Bundestagsrede ausdrücklich die Arbeit der geschäftsführenden SPD-Minister. Diese übernähmen „Verantwortung für die Stabilität des Landes“, sagt Schulz und erntet dafür Gelächter bei CDU und CSU. Tatsächlich sitzen die so gepriesenen Parteifreunde in dem Moment nicht auf der Regierungsbank.

Es gebe zwei Parteien, die sich aus der Verantwortung stehlen, sagt Grünen-Politiker Trittin auf dem Flur in eine Fernsehkamera: die SPD und die FDP. Die Liberalen sortiert er zusammen mit der AfD noch in einen anderen Topf: in den der „rechten Protestparteien“. Die Grünen und die FDP, das wird nichts mehr. Eine andere Konfliktlinie, die am Dienstag deutlich wird, ist die zwischen SPD und Linken in der Außenpolitik. Als es um den Bundeswehreinsatz gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) geht, geraten Außenminister Gabriel und die Linke-Abgeordnete Sevim Dagdelen aneinander. In der Wirtschaftspolitik dagegen zeigt sich später einiges an Übereinstimmung.

So gesehen passt der Appell ganz gut, mit dem Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) die Sitzung eröffnet: Er appelliert an die Kompromissbereitschaft aller Parteien und mahnt, dass nicht jede Abweichung vom Wahlprogramm ein Umfallen sei. „Mit der Wahl hat das Volk entschieden, damit müssen wir als Gewählte nun umgehen, verantwortlich umgehen“, sagt Schäuble. Kompromisse und Mehrheitsentscheidungen gingen nicht im Hauruckverfahren. Aber: „Klar ist, dass regiert werden muss.“ Das denkt sich auch die Kanzlerin. Angela Merkel wandert fast ständig durch die Reihen der Abgeordneten. Besonders lange bleibt sie bei den Grünen stehen. Und obwohl ihr roter Blazer und die schwarze Hose die Botschaft „Große Koalition“ senden, spricht sie mit niemandem aus der SPD. Der Wortwechsel mit FDP-Chef Christian Lindner ist kurz. Erst eine halbe Stunde nach Sitzungsbeginn steht Lindner auf und gibt Merkel die Hand. Dann verschwindet er aus dem Parlament.

Einig ist sich die große Mehrheit des Bundestages nur, wenn es um die AfD geht. Deren erster Antrag zum Anleihekaufprogramm der EZB wird von Rednern der anderen Fraktionen komplett zerpflückt – und dann an den zuständigen Ausschuss verwiesen.