Bonn. Die Geiselbefreiung aus der „Landshut“ vor 40 Jahren machte die GSG 9 zur Legende. Für die Regierung ist sie noch immer unverzichtbar.

Sie geben alles, in letzter Konsequenz ihr Leben. Sie sind die letzte Trumpfkarte des Rechtsstaates. „Nach uns kommt keiner mehr“, sagt Jerome Fuchs, „wir können nicht nach der Polizei rufen.“ So sehen sich die Männer von der GSG 9, der legendären Anti-Terror-Einheit, so sieht es ihr Kommandeur Fuchs.

2017 ist ein Jahr der Jubiläen. Vor 45 Jahren wurde die Einheit gegründet. Heute vor 40 Jahren stürmten die „Neuner“, wie sie bei der Bundespolizei nur heißen, in Mogadischu die Lufthansa-Maschine „Landshut“ und befreiten alle 87 Geiseln aus den Händen von Terroristen. Die Aktion in Somalia dauert sieben Minuten. Und doch sind diese sieben Minuten, kurz nach Mitternacht, eine historische Zäsur.

Schleyer war 44 Tage

in der Hand der RAF-Terroristen

„Operation Feuerzauber“ ist die Feuertaufe der Truppe, der Beginn eines Mythos und das Ende des Deutschen Herbstes. 44 Tage war Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer damals in der Hand von RAF-Terroristen, vom 5. September bis zum 18. Oktober 1977. Nach „Feuerzauber“ wird den Terroristen klar, dass sie keine Gefangenen freipressen können und der Staat unbeugsam bleiben würde. Die Demokratie hatte gezeigt, dass sie „wehrhaft und gut gerüstet ist“, wie der Präsident der Bundespolizei, Dieter Romann, bei einem Festakt im Haus der Geschichte am Montag in Bonn in Erinnerung ruft. Schleyer hat die staatliche Mutprobe mit seinem Leben bezahlt. Er wird noch am 18. Oktober von den Entführern ermordet.

Im Sommer der Erinnerung wird das Wrack der „Landshut“ in Brasilien aufgekauft, zerlegt und vor drei Wochen nach Deutschland geflogen. Die Boeing 737 soll in Friedrichshafen am Bodensee, am Sitz der Dornier-Stiftung, ausgestellt werden. Die GSG 9 ist nicht museumsreif, ein Relikt der Bonner Republik ist sie schon. Auch fast 20 Jahre nach dem Berlin-Umzug ist sie in Sankt Augustin bei Bonn stationiert, ihr vollständiger Name (Grenzschutzgruppe) klingt arg „retro“. Seit 2005 heißt die Behörde „Bundespolizei“, die Neuner jedoch durften ihren Namen behalten.

Aber auch Legenden müssen mit der Zeit gehen. Im August wurde die Truppe der neuen „Direktion 11“ der Bundespolizei in Berlin unterstellt, nun folgt der nächste Schritt: der Aufbau einer neuen, vierten Einheit der GSG 9 mit Sitz in Berlin. Ziel sei eine „schnellere Reaktionsfähigkeit in unserer Hauptstadt“, verrät Fuchs. Romann kündigt an, dass sich diese Einheit auf die Abwehr von Terrorangriffen mit chemischen, biologischen, radiologischen und nuklearen Waffen spezialisieren soll. Er glaubt, „unser Land braucht die GSG 9 mehr denn je“.

Sie wird nach offiziellen Angaben jährlich 50- bis 60-mal eingesetzt, insgesamt rund 1900-mal. „Die Neuner“, versichert Romann, „sind keine Rambos, sie sind Chirurgen.“ Nur zweimal mussten sie tatsächlich gegen Menschen schießen: In Mogadischu werden drei Terroristen getötet und eine Terroristin verletzt, 1993 stirbt das RAF-Mitglied Wolfgang Grams bei einem Feuergefecht im Bahnhof von Bad Kleinen.

Heute rückt die GSG 9 aus, um mal einen ausländischen Spion, mal ein ranghohes Mitglied der Rockerszene oder, wie in diesem Sommer, den Attentäter auf den Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund zu verhaften. Als ein Amokläufer München im Jahr 2016 bedrohte, wurde die GSG 9 ebenso angefordert wie nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt oder bei den Krawallen beim G20-Gipfel zuletzt im Juli in Hamburg.

Viel hat sich nicht geändert. Die Truppenstärke wird geheim gehalten, bis heute ist die GSG 9 eine der letzten Männerbastionen (zumindest im Kampfverband) geblieben, wie eh und je entscheidet der Innenminister über ihren Einsatz, und noch immer rekrutiert man den Nachwuchs allein aus dem Polizeidienst. Die Bewerber müssen topfit, keine Brille oder Kontaktlinsen tragen, höchstens 31 Jahre alt sein. Das Auswahlverfahren dauert vier Tage, die Ausbildung zehn Monate. Die Truppe besteht aus drei Einheiten: Scharfschützen, Tauchern, Fallschirmspringern, im Einsatz mit Unterstützung von Aufklärern, Entschärfern, Öffnungstechnikern, Sanitätern.

Es musste etwas passieren, damit etwas passiert. Bei der Olympiade 1972 in München misslingt der Versuch, israelische Sportler aus den Fängen eines palästinensischen Terrorkommandos zu befreien. Auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck kommen alle elf Geiseln, fünf Terroristen und ein Polizeibeamter ums Leben. Noch in der Nacht des Fiaskos schlägt der Grenzschutzbeamte Ulrich Wegener dem damaligen Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) den Aufbau einer Sondereinheit vor, die dann am 26. September 1972 gegründet wird. Es ist Pionierarbeit. Berühmte Einheiten wie die Navy Seals und Delta in den USA werden erst später gegründet. Wege-
ner geht bei denen in Lehre, die schon damals die stärksten Anti-Terror-Kämpfer sind: bei der israelischen Yamam-Einheit.

Kommandeur Wegener

rief Kanzler Schmidt an

Der letzte der 60 Beamten, die in Somalia im Einsatz waren, ging vor nur wenigen Wochen in Pension. Kommandeur Wegener ist heute 88 Jahre alt und sitzt nach einem Unfall im Rollstuhl, er musste in den letzten 40 Jahren unzählige Male von den dramatischen sieben Minuten seines Lebens erzählen und wie er die Erfolgsnachricht dem damaligen Kanzler Helmut Schmidt am Telefon überbrachte. „Ich merkte, wie er schluckte, er hatte natürlich mit Toten gerechnet.“ Aber die Männer von der GSG 9 – sie waren flexibler, härter, schneller als ihre Gegner. „Wir haben alle erschossen“, erinnert sich Dieter Fox, heute 70 Jahre alt, damals Truppenführer und am Montag einer der Redner bei der Feierstunde in Bonn, „das ist das Prinzip des schnellen Handelns. Nur wer schneller mit der Waffe ist, überlebt.“ Und wird manchmal auch unsterblich.