Washington. Der US-Präsident sieht „feine Menschen“ unter den Rechtsextremen von Charlottesville.

„Ein Präsident kann seine moralische Autorität gebrauchen, missbrauchen oder verlieren.“ Was Donald Trump am Dienstag zur Tragödie von Charlottesville zu sagen hatte, fällt für den Starmoderator des TV-Senders NBC „ganz klar“ in die Kategorie zwei und drei. Chuck Todd steht mit seinem Urteil in den USA nicht allein. Dass der Präsident den in der liberalen Universitätsstadt am Samstag tödlich geendeten Hass von Neonazis, weißen Rassisten und Ku-Klux-Klan-Anhängern moralisch auf eine Stufe stellte mit der Gewalt linker Gegendemonstranten, sei für ganz Amerika ein Grund „zu weinen“, schreibt die „Washington Post“.

Hintergrund: Einen Tag nach seiner von vielen Beobachtern als unaufrichtig empfundenen Distanzierung von Rechtsextremisten, die auf die Einflüsterung seiner Berater zurückging, vollzog der „echte“ Trump einen spektakulären Rückzieher. Er verteilte die Schuld an der Eskalation, bei der eine linke Demonstrantin von dem 20-jährigen Neonazi James Alex Fields mit dem Auto überfahren wurde, paritätisch auf rechte wie linke Gewalttäter. „Es gab auf der einen Seite eine Gruppe, die böse war, und auf der anderen Seite eine andere Gruppe, die auch sehr gewalttätig war“, polterte Trump.

Obamas Tweet wird mehr als

drei Millionen Mal gelikt

Sein neuer Stabschef John Kelly und der oberste Wirtschaftsberater Gary Cohn schauten betreten weg. David Duke, ehemals Anführer des Rassistenverbandes Ku-Klux-Klan, und Richard Spencer, Chef der auf ein rein weißes Amerika hinarbeitenden Alt-Right-Bewegung, bedankten sich dafür, dass Trump „fair“ geurteilt habe und „den Mut besitze, die Wahrheit auszusprechen“. Dass Trump sich von Rassisten vereinnahmen lässt, hat einen schweren Sturm der Entrüstung entfacht. Dutzende prominente Republikaner drückten am Mittwoch ihr Entsetzen aus und forderten Trump auf, sich glaubhaft zu distanzieren. Senator Marco Rubio und der Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Paul Ryan, erklärten: Wo Neonazis marschierten und für die Vorherrschaft der weißen Rasse kämpften, müsse die Verurteilung eindeutig sein. „Es gibt da keine zwei Seiten.“

Ein Eintrag Barack Obamas brach in kurzer Zeit alle Twitter-Rekorde: Der ehemalige US-Präsident hatte ein Zitat des früheren südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela wiedergegeben: „Niemand hasst von Geburt an jemanden aufgrund dessen Hautfarbe, dessen Herkunft oder dessen Religion.“ Der Eintrag wurde mehr als drei Millionen Mal gelikt.

Aus Frust über Trumps Rolle rückwärts zog sich der Chef des 12,5 Millionen Arbeitnehmer repräsentierenden Gewerkschaftsverbandes AFL-CIO aus einem wichtigen Beratergremium zurück: „Wir können nicht in einem Rat für einen Präsidenten vertreten sein, der Fanatismus und inländischen Terrorismus toleriert“, sagte Richard Trumka. Auch in anderen Berater-Zirkeln gab es zahlreiche Rücktritte.

Als Reaktion löste Trump zwei der Gremien auf. „Statt Druck auf die Geschäftsleute des Industrierates und des Strategie- und Politikforums auszuüben, beende ich beide“, schrieb Trump am Mittwoch auf Twitter. „Vielen Dank an alle.“

Trump-Kritiker sehen nach dem jüngsten Querschläger sogar das Risiko, dass der Präsident „die ohnehin tiefe Spaltung der amerikanischen Gesellschaft bis an den Rand sozialer Unruhen bringen könnte“.

Trump hat eine andere Wahrnehmung. Ihm macht es nichts aus, dass sich die zersplitterte Rechte durch seinen Wahlsieg ermutigt fühlt. Mit seiner Wertschätzung für Hetzportale wie „Infowars“, mit seiner latent fremdenfeindlichen Antiglobalisierungsstrategie („America First“) bewegt sich Trump nach Ansicht von Analysten klar im „gedanklichen Korridor“ von Duke und Spencer.

Beispiel: Trump will bei der Demonstration der Rechten in Charlottesville auch „feine Menschen“ gesehen haben, die gegen den Abbau der Statue des Südstaatengenerals Robert E. Lee protestiert hätten. Völliger Irrtum. 95 Prozent der Rechtsextremen, sagten Polizeivertreter vor Ort unserer Zeitung, „sind von auswärts mit der klaren Erwartung auf Handgreiflichkeiten angereist. Das Denkmal war nur ein Vorwand.“

Dass Trump sich die Liebedienerei von Rassisten nicht verbittet, hängt nach Ansicht von Analysten der Denkfabrik Cato mit Kalkül zusammen. Zum einen teile Trump gewisse Einschätzungen. Andernfalls hätte er nicht mit Stephen Bannon, Sebastian Gorka und Stephen Miller drei Galionsfiguren der Ultrarechten als Berater um sich geschart. Zum anderen fürchte Trump um ein Druckmittel, wenn ihm die moderate republikanische Basis abhandenkommen sollte. „Die aggressive Rechte, in der offen zum Sturz des Systems aufgerufen wird, könnte vielleicht der Hebel sein, den Trump benutzt, wenn alles den Bach runtergeht.“