Wolfsburg. Konzernchef Matthias Müller betont, dass Volkswagen zum Erfolg des „Diesel-Gipfels“ beitragen wolle.

Als Barbara Hendricks gestern im Sedric, der autonom fahrendem Studie von Volkswagen, saß, guckte sie skeptisch. Auf die Frage einer Journalistin, ob sie sich darin sicher fühle, sagte die Bundesumweltministerin: „Ich habe da jetzt ja drin gesessen, wie auf einer Bank. Ich bin ja nicht gefahren.“ Hendricks glaubt nicht, dass autonome Taxis auf dem Land angeboten werden könnten – wegen der weniger dichten Besiedlung. Sie glaubt auch nicht, dass ältere Menschen sich darin wohl fühlen würden – denn das wäre fern von aller Lebenserfahrung. „Aber als Studie ist das natürlich richtig“, sagte sie.

Volkswagens schöne neue Mobilitäts-Welt verfängt die Umweltministerin, die gestern ihre Sommerreise in Wolfsburg gestartet hat, nicht. Anstatt sich wie geplant bei Volkswagen ausschließlich über „Smart Mobility“ und Stadtentwicklung zu informieren, stand der Termin nun ganz im Zeichen der Kartellvorwürfe, die neben Volkswagen auch die Töchter Audi und Porsche sowie Daimler und BMW betreffen. Nachdem die Ministerin mit dem Volkswagen-Vorstandsvorsitzenden Matthias Müller gesprochen hatte, las sie ihm vor laufenden Kameras die Leviten – und übte auch Selbstkritik.

Sie sei enttäuscht vom Verhalten der Autoindustrie. Schon seit zwei Jahren gebe es einen Vertrauensverlust, der durch ein mutmaßliches Kartell der fünf großen deutschen Autobauer noch größer geworden wäre. „Das sind natürlich Vorwürfe, die wir noch nicht beurteilen können“, sagte die Politikerin. Dennoch habe das sowohl das Vertrauen zwischen der Politik und der Autoindustrie als auch zwischen den Verbrauchern und der Industrie weiter zerstört. Hier und da gebe es Missstände im Management, sagte Hendricks. Derweil stand Müller neben ihr, blickte zu Boden und kratzte sich kurz am Auge. Ein einzelner Mechatroniker habe sicherlich keinen Anteil daran, fuhr sie weiter fort.

Doch Hendricks, die seit 2013 Chefin des Umweltministeriums ist, gibt auch der Politik eine Mitschuld an der heutigen Lage der Autobranche. Ungewöhnlich scharf äußerte sie sich zu der „zu großen“ Nähe zwischen Politik und Industrie. „Es ist wohl so, dass der Staat es in der Vergangenheit zu häufig an Distanz zur Automobilindustrie hat mangeln lassen“, sagte Hendricks. Das habe wiederum dazu geführt, dass sich die Autoindustrie zu sicher gefühlt habe. Die Regierung müsse deshalb auch Verantwortung dafür tragen, dass das Vertrauen in die Industrie wiederhergestellt werde. Ein weiterer Grund dafür sei, dass die Industrie hunderttausende Menschen im Land beschäftige.

Sie forderte zudem eine zusätzliche Kontrollbehörde, die außerhalb des Bundesverkehrsministeriums angesiedelt wird. Als Einrichtung schlug sie ihr eigenes Umweltministerium oder das Bundesverbraucherministerium vor.

Geht es ohne oder nur mit Diesel? Seine Zukunft ist umstritten

VW-Chef Matthias Müller blickte vor allem Richtung „Diesel-Gipfel“. Mit dem Angebot, zusätzlich eine Million Diesel-Autos aus dem Konzern nachzurüsten, wolle VW einen Beitrag zum Gipfel leisten. Dieser sei keine Inszenierung, sondern „eine ernsthafte Angelegenheit“. Allerdings gehöre auch zur Wahrheit, „dass wir auch in Zukunft saubere und effiziente Verbrennungsmotoren brauchen in einer Übergangsphase hin zur Elektromobilität“.

Die Umweltministerin erkannte diese Stellung dem Verbrennungsmotor ebenfalls zu: „Der Diesel kann und wird einen Beitrag zum Übergang leisten.“ Mittel- oder langfristig sei er allerdings kein Teil der Mobilität. Diese werde sich so oder so wandeln: „Es wird nicht mehr der typische Privatbesitz-PKW sein“, sagte sie.

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) riet gestern hingegen von „unseriösen“ Debatten über ein Ende von Fahrzeugantrieben mit Diesel und Benzin ab. Er halte es „nicht für sehr zielführend, heute davon zu sprechen, dass man den Verbrennungsmotor beerdigen könnte“, sagte der CSU-Politiker in Berlin. Dennoch stellte er klar: „Elektromobilität wird die Zukunft sein.“ Wann und in welchen Ausführungen dies in der Breite beginnen werde, sei aber absolut noch nicht zu sagen.

Hendricks, die gestern auch noch im Markenhochhaus auf dem VW-Gelände mehrere Vorträge hörte, sprach dort den Wunsch aus, dass VW in Sachen Elektromobilität eine Vorreiterrolle einnehmen solle. Die Regierung habe sich für 2030 das konkrete Ziel von Emissionseinsparungen von 40 bis 42 Prozent gesetzt. Dafür bräuchte man jedoch bis zu 50 Prozent E-Mobilität. „Wir würden es für hilfreich halten, wenn die 50 Prozent bis 2030 bei VW erreicht würden. Das würde dann als Initialzündung gegenüber den anderen Herstellern wirken“, sagte sie. Ein VW-Manager machte klar, „dass dazu auch der Kunde kaufen muss“.

Die Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade fürchtet derweil Dieselfahrverbote. „Unsere Handwerksbetriebe sind zwingend darauf angewiesen, mit ihren Fahrzeugen die Innenstädte zu erreichen“, sagt Kammerpräsident Detlef Bade. Rund 80 Prozent des Fahrzeugbestands bestünden aus Diesel-Autos. Die Kammer fordert Lösungen vom „Diesel-Gipfel“, die „geeignet sind, das Vertrauen in die Dieseltechnik zurückzugewinnen“. Zudem sollte den Handwerksbetrieben der Umstieg auf Elektrofahrzeuge durch eine verbesserte Förderung erleichtert werden.

Der Forscher Peter Mock von der Forschungsplattform „International Council on clean Transportation“ (ICCT) hat 2015 die auffälligen Messwerte bei VW-Dieseln den Behörden gemeldet. Er vermutet, dass der Diesel mit dem Gipfel nicht mehr zu retten ist. Inzwischen sei das Vertrauen der Kunden in die Technologie nach vielen enttäuschten Versprechen so weit geschwunden, dass es kaum wiederhergestellt werden könne, sagte Mock unserer Zeitung.

Spätestens Mitte des nächsten Jahrzehnts rechnen ICCT-Experten damit, dass Elektroautos günstiger werden als Verbrenner. „Das Kleinwagensegment wird auf Batteriefahrzeuge umgestellt“, glaubt der Wirtschaftschemiker. Nur im Spitzensegment gebe es dann noch Hybride oder Verbrennungsmotoren.