Washington. US-Vorwahlen: Mit ihrer Präsidentschaftskandidatur schreibt Hillary Clinton Geschichte.

Sie kann sich nicht gehen lassen. Auch nicht im Gänsehautmoment ihres bislang größten Erfolges. Dabei sieht es für Sekunden am Dienstagabend im Navy Yard von Brooklyn/New York so aus, als würde Hillary Clinton jeden Augenblick Tränen vergießen über die historische Leistung, die sie sich und Amerika abgetrotzt hat. Bewegt saugt sie den Jubel ihrer Anhänger ein, die seit 240 Jahren zum ersten Mal eine so gut wie offizielle Präsidentschaftskandidatin vor sich haben. Aber als sie ans Mikrofon tritt, muss irgendwas den Schalter in ihrem Kopf umgelegt haben. „Wir haben einen Meilenstein erreicht“, ruft sie in den ohrenbetäubenden Lärm. Viel mehr Pathos gesteht sich die 68-Jährige nicht zu. Nach 14 Monaten mit zermürbendem Wahlkampf wirkt ihre Freude defensiv und kalkuliert. Wie wird man nur so selbstkontrolliert?

Sie ging durch alle Stahlbäder

Clinton hat als Rechtsanwältin, Gouverneursgattin, First Lady, Senatorin und Außenministerin Amerika geprägt wie wenige. Niederlagen nahm sie stets als Auftrag, beim nächsten Mal schöner zu scheitern. Sie ist die Stehauf-Frau schlechthin.

Nach dem Ausscheiden ihres Mannes Bill aus dem Weißen Haus, dessen Karriere sie entscheidend choreografiert hat, bastelte sie sich eine eigene Laufbahn als Senatorin in New York. Nach ihrer Schlappe im demokratischen Kandidatenrennen gegen Barack Obama 2008 wurde sie nach kurzem Wundenlecken seine anerkannte Chefdiplomatin. Nach einer Auszeit als hoch bezahlte Vortragsrednerin und Buchautorin steht sie nun davor, die erste „Commanderin-in-Chief“ zu werden.

Hillary Clinton ist, so sagen ihre Biografen, „durch alle Stahlbäder gegangen, die man sich denken kann“. Ihre Zähigkeit und ihre Ausdauer sind unübertroffen. Wie auch ihr Misstrauen gegenüber einer Öffentlichkeit, von der sie sich missverstanden und zu wenig geliebt fühlt.

Nichts illustriert das besser als ihr Umgang mit den lange zurückliegenden Sex-Eskapaden ihres Mannes. Dass sie Bill Clinton nicht zum Teufel jagte, spätestens nach Monica Lewinsky, wurde ihr als berechnende Zukunftsentscheidung ausgelegt. Ihr Machthunger, schrieben Kommentatoren, sei größer als ihr Selbstwertgefühl. Aus dieser Zeit rührt ihre Geringschätzung für weite Teile der journalistischen Klasse, die gerade einmal mehr Hillary Clintons Stärken und Schwächen unter die Lupe nimmt.

Dass Clinton Netzwerke besitzt, die vom Kongress in Washington bis in die Vereinten Nationen und Potentaten im Nahen Osten reichen, macht sie zur welterfahrensten und erprobtesten Kandidatin, die Amerika jemals vor einer Wahl hatte. Was bei einem Mann unweigerlich als Pluspunkt vermerkt würde, sagt die feministisch gestimmte Fernseh-Moderatorin

Rachel Maddow, wird bei Hillary zum „Makel einer Frau des Establishments“. Resultat auch eines Abnutzungseffekts. Clinton gehört zum Inventar. Sie ist das Gegenteil von Überraschung. Amerikaner lieben Überraschungen. Und: Sie besitzt keinen Kapitalstock in der entscheidenden Politiker-Währung: Vertrauenswürdigkeit. In Umfragen halten viele Amerikaner die erst vor Kurzem Großmutter gewordene Yale-Absolventin regelmäßig für eine Opportunistin, die ihre Meinungen dem Zeitgeist unterordnet. Erst war sie für den Irak-Krieg, heute ist sie dagegen. Erst machte sie sich für das Freihandelsabkommen TTP mit Asien stark, jetzt ist im Sog der protektionistischen Töne von Sanders und Trump dagegen.

Anders als ihrem Mann Bill fehlt Hillary Clinton die Gabe zur Menschenfängerei. Sie ist kein Kumpeltyp. Selbst im kleinen Kreis wirkt sie maskenhaft,

TRUMP-PARODIE

Der Wahlkampf um die US-Präsidentschaft hat seine komischen Seiten: Hillary Clintons republikanischer Konkurrent Donald Trump inspirierte Oscarpreisträgerin Meryl Streep (66, Foto) zu einem Überraschungsauftritt.

Auf einer Gala in New-York begeisterte die Clinton-Unterstützerin mit einer Trump-Parodie. Foto: getty