Die syrische Regierung erlaubt Hilfslieferung für die belagerte Stadt – fraglich ist, ob sie die Menschen erreicht.

Damaskus . Seit mehr als sechs Monaten belagern Truppen des Assad-Regimes nun schon den syrischen Ort Madaja, nordwestlich der Hauptstadt Damaskus. Laut Angabe der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte verharren seit der jüngsten UN-Hilfslieferung im Oktober rund 40 000 Menschen in der belagerten Stadt. 20 000 davon seien ohne ausreichend Lebensmittel und Trinkwasser. Jetzt hat die syrische Regierung grünes Licht für einen weiteren Hilfskonvoi gegeben.

„Es sind Szenen wie aus Zeiten der Konzentrationslager.“
„Es sind Szenen wie aus Zeiten der Konzentrationslager.“ © Sadiqu Al-Mousllie, über die Bilder und Berichte, die ihn durch Kontaktpersonen aus Madaja erreicht haben.

Sadiqu Al-Mousllie, Mitglied im syrischen Nationalrat und Vorsitzender der Initiative für Bürgerrechte in Syrien, ist entsetzt über die Bilder, die ihn aus dem eingeschlossenen Ort erreichen. Der 46-jährige Arzt stammt selbst aus Damaskus und kam vor

25 Jahren nach Deutschland. Wegen seines Engagements für die syrische Opposition ist es für Al- Mousllie selbst nicht möglich, nach Syrien zu reisen. Informationen erhält er jedoch regelmäßig von Bekannten aus den belagerten Gebieten.

„Es sind Szenen, wie man sie hierzulande aus Zeiten der Konzentrationslager kennt. Bilder, die wir nie wieder sehen wollten, aber die real sind. Es ist eine menschliche Tragödie“, so Al-Mousllie. Menschen, die nur noch aus Haut und Knochen bestünden, die mit Blättern und Gras ihren Hunger zu stillen versuchten.

Nach Angabe der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ sind seit Dezember bereits 23 Menschen verhungert. Besonders wichtig sei neben der Lieferung von Lebensmitteln vor allem die Versorgung mit zusätzlichen, lebensrettenden Medikamenten. Dass alle der nun vom Regime genehmigten Hilfslieferungen wirklich bei der Bevölkerung ankommen, glaubt Al-Mousllie hingegen nicht. Der Syrische Rote Halbmond, der für die Verteilung der Hilfsgüter zuständig ist, stünde direkt unter der Kontrolle Assads. Nahrungsmittel und Medizin würden also zum größten Teil der syrischen Armee in die Hände fallen. Der restliche Teil ginge zwar an die Bevölkerung, würde aber nicht an sie verteilt, sondern verkauft , meint Al-Mousllie.

Die UN-Abgesandten, unter dessen Beobachtung der Hilfskonvoi steht, würden sich lediglich vergewissern, ob die Lieferung ankommt. Bei deren Verteilung seien sie später nicht mehr dabei. Ohnehin ginge es der syrischen Regierung nur darum, Bereitschaft zu zeigen. „Das Regime hat die Hilfslieferung nur genehmigt, um Druck abzubauen“, so der Bürgerrechtler.

Dass die syrische Armee Madaja nicht direkt angreift, hat seiner Meinung nach klare Gründe: Den Hunger setze man als politische Waffe ein. Mit der Belagerung der Stadt verfolge das Regime einen perfiden Plan: Sollte der Bürgerkrieg nicht zu gewinnen sein, wolle man den syrischen Staat teilen, und im zurzeit durch das Regime besetzten Gebiet den sogenannten Küstenstaat „Nützliches Syrien“ ausrufen. Die oppositionelle Bevölkerung der belagerten Städte lasse man gezielt verhungern, um Platz für eine regimetreue Neubesiedelung zu schaffen.

„Das geschieht bereits seit Jahren“, so Al-Mousllie. „Ich bin bereits so weit, dass ich in diesem Zusammenhang von einer ethnischen und konfessionellen Säuberung sprechen würde.“