Berlin. Russland lässt Langstreckenbomber und andere Militärflugzeuge über die Nord- und Ostsee sowie den Atlantik fliegen. Die Nato ist beunruhigt.

Unser Leser, der sich Gast123 nennt, fragt auf unseren Internetseiten:

Putin testet unser Luftabwehrsystem. Haben wir überhaupt eins? Und warum haben die Russen noch Flugzeuge, die fliegen, und wir nicht? Muss man sich doch mal ernsthaft fragen.

Die Antwort recherchierte Miguel Sanches

Die russische Luftwaffe testet tatsächlich die Nato. Ihre Piloten fliegen unangemeldet über Europa, meiden Funkkontakt, senden keine Signale. Das ist legal, da sie sich im internationalen Raum bewegen, aber irritierend: militärisch, politisch, nicht zuletzt für die zivile Flugsicherung.

Jedes Mal steigen Nato-Abfangjäger auf, um die Jets zu identifizieren und zu eskortieren, an die 100 Einsätze schon – dreimal so oft wie 2013. Die Luftraumüberwachung über dem Baltikum war zuletzt verstärkt worden, unter anderem mit sechs Eurofightern der Bundeswehr. Die Alarmrotte wird auf die Probe gestellt.

Die Bundeswehr ist – trotz aller Pannenmeldungen – dazu fähig, diesen Test zu bestehen, zumal sie nicht allein gefragt ist. Die Nato hat ihre Präsenz im Ostsee-Raum, vor allem im Baltikum, erhöht. Die Bundeswehr operiert in Estland, die Kanadier sind mit ihren F-18-Maschinen über Litauen aktiv, die Holländer in Polen. Die Führung hat Portugal. Die sogenannte „Lead Nation“ ist mit F-16-Jets im Baltikum.

Offensichtlich ist, dass Russland die Reaktionsfähigkeit der Nato testet und Stärke demonstriert. Klar ist auch, dass es seine Militärausgaben erhöht hat, so dass Einsätze geflogen werden, die man vor Jahren wegen knapper Mittel ausgesetzt hätte.

Es gibt eine große Verunsicherung in der Analyse. Wer gestern in Berlin nach Erklärungen für das russische Verhalten suchte, der bekam in Militärkreisen die unterschiedlichsten Antworten. Manche hielten die Flüge für ein Manöver. Andere betrachteten sie als Vorbereitung auf eine erst bevorstehende Großraumübung, zumal der Trainingsrückstand der russischen Piloten groß sei. Und wieder andere hatten ganz einfache Erklärungen parat: Es sei im Herbst üblich, dass die russische Luftwaffe vor dem Winter Aktivitäten vom Osten nach Westen verlagere.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) versicherte, „ich bin jetzt akut nicht besorgt“. In Osteuropa ist man schon alarmierter. Der slowenische Ministerpräsident Miro Cerar, der sie gestern besuchte, sprach von einer „Art der Krisenkommunikation“ zur Ukraine. „Gewisse Botschaften“ müsse man sehr genau verfolgen.

Üblich ist, Flüge anzumelden und den Transponder einzuschalten. Der sendet Signale aus. Ohne sie ist die zivile Flugsicherung nämlich blind. Dem militärischen Radarschirm bleiben die russischen Flugzeuge indes nicht verborgen. Dann steigen Jets auf. Die zivile Flugsicherung ist dann auch im Bilde, denn bei den Nato-Maschinen ist der Transponder eingeschaltet. Wenn sogar der Nato-Luftraum verletzt wird – dreimal in diesem Jahr –, dann versucht man, mit den russischen Piloten in Kontakt zu treten, über Notfallfrequenzen oder mit visuellen Zeichen. Oft haben sich Piloten nur verirrt und folgen kooperativ den Abfangjägern zurück in den internationalen Luftraum.

Am Dienstag und Mittwoch kamen zwei Aspekte zusammen: Auf der russischen Seite waren auffällig viele Formationen beteiligt, darunter auch Langstreckenbomber, mindestens 26 Flugzeuge, nicht über der Ostsee, wo der Luftraum eng ist, sondern überall in Europa. Obendrein hat Russland gestern einen Raketentest gestartet. Auf der anderen Seite ist die Nato im Zuge der Ukraine-Krise alarmiert: Sie hängt Vorgänge an die große Glocke, wovon vor einigen Jahren nur Experten Wind bekommen hätten.

Einen Leitartikel von Chefredakteur Armin Maus lesen Sie hier: Putins Warnzeichen