Berlin. Olaf Scholz will keine Marschflugkörper an die Ukraine liefern. Daran dürfen auch die jüngsten Vorgänge in den USA wenig ändern.

Es gibt Situationen, in denen auch in Demokratien nicht alles an die große Glocke gehängt werden kann. Wenn es um grundlegende Sicherheitsfragen geht, ist Transparenz mitunter schädlich. Dann kommt es vor, dass Staatslenker Dinge anordnen, von denen weder die breite Öffentlichkeit noch das Parlament Kenntnis erlangen sollen.

In solch einer Situation sahen sich unlängst offenbar US-Präsident Joe Biden und seine Leute: Noch während das Gesetz über die neuen, milliardenschweren Militärhilfen für die Ukraine im Kongress festhing, ordneten sie die heimliche Lieferung von weitreichenden ATACMS-Raketen an Kiew an. Die Präzisionswaffen kamen laut Medienberichten bereits im Kampf gegen die russischen Invasoren zum Einsatz – aber nur auf besetztem ukrainischen Gebiet, nicht im russischen Hinterland. Weitere Exemplare mit einer Reichweite von bis zu 300 Kilometern sollen jetzt im Rahmen des gerade beschlossenen rund 60 Milliarden Dollar umfassenden Hilfspakets an die Ukraine übergeben werden.

Trotz neuer Ukraine-Hilfen der USA: Scholz bleibt bei Nein zu Taurus

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    Der Vorgang unterstreicht erneut, wie ernst es Biden trotz innenpolitischer Widerstände mit der Ukraine-Unterstützung meint. Aber er hat auch Bedeutung für die deutsche Politik. Denn es ist zu erwarten, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nun wieder verstärkt unter Druck geraten wird, der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine doch noch zuzustimmen.

    Denn bisher lautete Scholz‘ Devise bei sämtlichen Entscheidungen über die Lieferung schweren Militärgeräts: keine nationalen Alleingänge, Deutschland handelt immer in Absprache mit seinen Partnern und insbesondere mit den USA. Wenn nun Amerikaner, aber auch Briten und Franzosen im großen Stil weitreichende Präzisionswaffen liefern, stellt sich abermals die Frage, warum das nicht auch Deutschland tut.

    Taurus-Lieferungen: Der Druck aus Koalition und Opposition dürfte wieder steigen

    Die Debatte darüber war zuletzt zwar nicht verstummt, aber doch etwas leiser geworden. In der Berliner Ampelkoalition gibt es namhafte Befürworter von Taurus-Lieferungen, die dem Thema in den vergangenen Wochen lieber aus dem Weg gegangen sind. Sie wollten das fragile Regierungsbündnis mit wiederkehrender Kritik am Kanzler nicht noch weiter schwächen. Das könnte sich jetzt ändern. Die christdemokratische Opposition macht ohnehin mächtig Druck in Sachen Taurus.

    Politik-Korrespondent Thorsten Knuf
    Politik-Korrespondent Thorsten Knuf © Funke Foto Services | Reto Klar

    Doch so wie man den Kanzler kennt, wird all das ihn wenig beeindrucken. Er hat das bereits erkennen lassen. Scholz befürchtet, dass eine Taurus-Lieferung zu einer Eskalation des Kriegs führen könnte und Deutschland unmittelbar in den Konflikt hineingezogen würde. Die Reichweite der Geschosse beträgt bis zu 500 Kilometer. Das bedeutet, dass sich von der Ukraine aus auch Ziele in Moskau ins Visier nehmen ließen. Zum Beispiel der Kreml, also Wladimir Putins Regierungszentrale.

    Marschflugkörper: Für die Lieferung bräuchte es womöglich ein Mandat des Bundestags

    Vor allem ist der Kanzler nach Darstellung von Insidern aber zu der Überzeugung gelangt, dass die Ukrainer für den Einsatz von Taurus zwingend auf die Unterstützung der Bundeswehr angewiesen wären und es dafür ein Mandat des Bundestages bräuchte – ganz unabhängig davon, ob die deutschen Soldaten hierzulande oder auf ukrainischem Territorium tätig würden. Ein entsprechender Beschluss des deutschen Parlaments würde laut dieser Argumentation aber die direkte Verwicklung der Bundeswehr in den Krieg bedeuten. Amerikaner, Briten und Franzosen haben dieses Problem nicht, sie können kleinere Kontingente von Soldaten auch in einer rechtlichen Grauzone operieren lassen.

    Und so dürfte Scholz in den kommenden Wochen wieder das tun, was er immer tut, wenn der Druck auf ihn steigt: Er wird auf stur schalten. Und hoffen, dass die Diskussion über Taurus irgendwann versiegt.