Berlin . SPD-Vize Ralf Stegner sieht sieht hohe Hürden auf dem Weg zu einer großen Koalition. Er ist aber sicher, dass Schulz Parteichef bleibt.

Bis Freitagfrüh um halb zwei beriet die Führung der SPD im Willy-Brandt-Haus, wie sie mit den Erwartungen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier umgehen soll. Doch nicht in die Opposition gehen, doch wieder regieren? Wenige Stunden nach dem Ende der denkwürdigen Besprechung kam SPD-Vize Ralf Stegner zum Interview in unsere Berliner Redaktion.

Herr Stegner, Sie haben einen neuen Musiktipp getwittert: „You win, I lose“ von Supertramp. Eine Botschaft an Ihren Parteichef Martin Schulz?

Ralf Stegner: Nein, das war eher ein Hinweis auf die kuriose Lage von Frau Merkel, die nach wochenlangen Sondierungen von CDU, CSU, Grünen und FDP krachend gescheitert ist. Ganz Deutschland sieht jetzt: Ohne die SPD geht es nicht.

70 Prozent der SPD-Anhänger wollen, dass Martin Schulz Parteichef bleibt – das ergab eine Umfrage für diese Zeitung. Hören Sie da auf Ihre Wähler?

Stegner: Aber hundertprozentig. Martin Schulz genießt deutlich mehr Zustimmung und Zuneigung in der SPD, als das bei manch einem in der Berliner Käseglocke wahrgenommen wird. Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass Martin Schulz mit einem guten Ergebnis als Parteivorsitzender wiedergewählt wird. Er hat die Unterstützung der gesamten Parteiführung. Das ist auch nötig für die schwierigen Gespräche, die wir jetzt führen müssen und zu denen Bundespräsident Steinmeier alle Parteien aufgerufen hat.

Olaf Scholz aus Hamburg braucht sich keine Hoffnungen zu machen, dass er beim Parteitag zum Zug kommt?

Stegner: Ihm geht es wie mir. Wir kandidieren beide wieder als stellvertretende Parteivorsitzende und hoffen auf ein gutes Ergebnis.

Wird Schulz auch wieder Kanzlerkandidat, falls es zu Neuwahlen kommt?

Stegner: Es wäre ein Armutszeugnis, den Bürgern zu sagen, wir wählen so lange, bis uns das Ergebnis passt. Eine Bundestagswahl steht jetzt nicht an, daher haben wir auch keinen Anlass, jetzt einen Kanzlerkandidaten zu nominieren. Und wenn es mal wieder so weit ist, gilt bei uns die alte Regel: Der Parteivorsitzende macht einen Vorschlag, über den die Parteigremien dann entscheiden.

Wie groß war der Fehler, sich nach der Bundestagswahl so klar auf die Oppositionsrolle festzulegen?

Ralf Stegner.
Ralf Stegner. © dpa | Christian Charisius

Stegner: Das war kein Fehler, sondern eine ehrliche Einschätzung. Nicht die Medien und nicht mal wir Sozialdemokraten haben erwartet, dass Frau Merkel und die vier Parteien der schwarzen Ampel so eklatant versagen. Alles sprach für Opposition. Dennoch haben wir uns immer an den Satz von Willy Brandt gehalten: „Erst kommt das Land, dann kommt die Partei.“ Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst. Aber eines muss klar sein: Ein „Weiter so“ kann und darf es nicht geben. Die Wähler haben CDU, CSU und SPD mit minus 14 Prozent abgestraft. Das ist der größte Verlust für eine Regierungskoalition in der Geschichte der Bundesrepublik. Die SPD hat gute Arbeit geleistet in der großen Koalition. Aber in vielen Dingen war die Union wortbrüchig. Wir brauchen jetzt Zeit für sehr schwierige und ergebnisoffene Gespräche. Da gibt es keinen Automatismus.

Was will die SPD jetzt eigentlich? Eine Minderheitsregierung tolerieren? In die nächste große Koalition eintreten? Ein Kenia-Bündnis mit Union und Grünen bilden?

Stegner: Wir werden mit allen demokratischen Parteien sprechen, nicht nur mit CDU und CSU. Was dabei herauskommt, steht in den Sternen. Die Verengung auf große Koalition oder Neuwahlen halte ich für falsch. Wir stehen für klare Inhalte: Die SPD ist kein billiger Jakob. Und was auch immer am Ende von Gesprächen steht, wird in einem Mitgliederentscheid festgelegt. Da ist die SPD demokratischer und moderner als andere Parteien. Wir werden sicher nicht unser ganzes Wahlprogramm durchsetzen. Aber eines steht jetzt schon fest: Auf die SPD kommt es an.

Was sind Ihre Bedingungen für einen Koalitionseintritt?

Stegner: Stopp – so weit sind wir noch lange nicht. Was aus den Gesprächen wird, entscheiden unsere Mitglieder. Es ist doch klar, wofür wir stehen. Beispiel Rente: Wenn jemand ein Leben lang gearbeitet hat, muss eine auskömmliche Rente dabei herauskommen. Beispiel Arbeit: Auf dem Weg in die digitalisierte Welt dürfen die Arbeitsverhältnisse nicht immer prekärer werden. Wir brauchen andere Formen der Arbeitszeit, gleichen Lohn für gleiche Arbeit bei Männern und Frauen, mehr Tarifbindung, und die grundlos befristeten Arbeitsverhältnisse müssen abgeschafft werden. Beispiel Gesundheit und Pflege: Wir sind gegen die Zwei-Klassen-Medizin und brauchen eine Bürgerversicherung für alle, die paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanziert wird.

Merkels Abgang verlangen Sie demnach nicht.

Stegner: So etwas erledigt die Union bekanntlich humorlos selbst.

Glauben Sie.

Stegner: Merkels Stern sinkt. Sie hat die Verhandlungen für die schwarze Ampel geleitet und versagt. Die Union wird das regeln. Dazu braucht es keine Forderung der Sozialdemokratie.

Eine Position bezeichnet die CSU als unverhandelbar: das mit der CDU vereinbarte Regelwerk zur Begrenzung der Zuwanderung. Lässt sich die SPD darauf ein?

Stegner: Das ist kein Regelwerk, sondern hanebüchener Unsinn und eine intellektuelle Beleidigung. Auf so etwas lassen wir uns natürlich nicht ein. Eine Obergrenze, die nicht so heißen darf, verstößt immer noch gegen die Verfassung und die Genfer Flüchtlingskonvention. Das Grundgesetz schützt auch Ehe und Familie, und zwar nicht nur von Deutschen. Daher wird es eine weitere Begrenzung des Familiennachzugs mit der SPD nicht geben. In der Sozialdemokratie vertritt niemand die Position, dass alle, die hierherkommen, auch bleiben können. Aber bei unseren humanitären Verpflichtungen werden wir keine Abstriche machen.

Die Grünen haben das Regelwerk der Union in den Jamaika-Verhandlungen weitgehend akzeptiert.

DStegner: ie Grünen werden sicher gute Wege finden, dies ihrer Basis zu erklären. Gute Reise, kann ich da nur sagen.