Berlin. Allein 2016 sind mehrere Minderjährige in Deutschland bei Anschlägen aufgefallen. Über den Umgang mit ihnen gibt es mehrere Meinungen.

Der Gefangene liegt gefesselt auf dem Boden und hat den Kopf gesenkt. Seine Hinrichtung steht an. Es ist ein kleiner Knirps, vielleicht sechs, sieben Jahre alt, kaum älter. Dem Kind wird eine Pistole in die Hand gedrückt, ein leichtes handliches Exemplar. Der Junge zielt und drückt ab. Diese Szene – nicht die einzige Brutalität mit Kindern – stammt aus einem Video der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS), das man beim Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz sehr ernst nimmt.

Das Amt versteht sich als Brandmelder und schlägt aus zwei Gründen Alarm. Zum einen wurden drei der sieben islamistischen Anschläge in Deutschland im Jahr 2016 von Minderjährigen begangen. Sie sind nicht nur eine potenzielle, sondern eine reelle Gefahr.

Kinder sind von Beginn an Propaganda ausgesetzt

Zum anderen sollen von den vermuteten 600 deutschen Dschihadisten in Syrien und Nordirak etwa 200 Frauen sein. Einige haben Kinder, die im Bürgerkrieg geboren wurden. Sie haben Gewalt erlebt und waren der Propaganda ausgesetzt. Viele werden jetzt heimkehren, weil das Ende des selbst ausgerufenen Kalifats naht, die heimliche Hauptstadt des IS, Al-Rakka, wurde gerade verloren.

„Wir sehen die Gefahr, dass Kinder von Dschihadisten islamistisch sozialisiert und entsprechend indoktriniert aus den Kampfgebieten nach Deutschland zurückkehren“, sagte Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen am Donnerstag in Berlin. Kinder würden in der IS-Propaganda zielgerichtet angesprochen und seien selbst Teil der Propaganda. Diese Kinder sind verblendet und traumatisiert, mit einem Wort: Sie sind Opfer.

Verfassungsschutz warnt vor Generation von Dschihadisten

Wenn sich keine Behörde um sie kümmert, wird dies spätestens die salafistische Szene tun. Dann könnten aus Opfern potenzielle Täter werden, so die Befürchtung der Verfassungsschützer. Der Salafismus ist nach Ansicht von Sicherheitsexperten „eine Jugendbewegung“, die wächst. Wenn Kinder unter den Einfluss der Salafisten geraten, „könnte auch hier eine neue Dschihadisten-Generation herangezogen werden“.

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    Das ist das Schreckensszenario, vor dem Maaßen warnt. In der IS-Propaganda stünden Kinder für eine neue Generation von Kämpfern. Dieses Risiko müsse die Gesellschaft „sehr genau im Blick haben“, so Maaßen. Bislang fehlt eine einheitliche Strategie von Bund, Ländern, Sicherheitsbehörden, Jugend- und Sozialämtern für den Umgang mit den Kindersoldaten des Terrors.

    Allein 2016 fielen vier Minderjährige bei Anschlägen auf

    Im Jahr 2016 verübten Minderjährige drei Anschläge in Deutschland. Im Februar ging eine 15-Jährige im Hauptbahnhof in Hannover mit einem Messer auf einen Polizisten los. Sie stach dem Beamten in den Hals. Im April legten zwei 16-Jährige am Eingang des Sikh-Tempels in Essen eine selbst gebaute Bombe ab. Am 18. Juli griff ein 17-jähriger junger Flüchtling in einem Regionalzug bei Würzburg Reisende mit einer Axt an. Ende des Jahres versuchte ein Zwölfjähriger zweimal, einen Bombenanschlag auf den Ludwigshafener Weihnachtsmarkt zu verüben. Der selbst gebaute Sprengsatz detonierte jedoch nicht.

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      Gerade dieser Vorfall hat womöglich ein politisches Nachspiel. Die CSU fordert schon lange, die Altersgrenze für die Beobachtung von Minderjährigen durch den Verfassungsschutz fallenzulassen: Das Kölner Bundesamt soll auch Kinder unter 14 Jahren beobachten dürfen. Das will die CSU in den Koalitionsverhandlungen mit FDP und Grünen durchsetzen, wie ihr innenpolitischer Experte Stephan Meyer unserer Redaktion sagte.

      Überwachung von Minderjährigen ist umstritten

      Die Forderung sei „nach wie vor aktuell“. In Bayern darf der Verfassungsschutz Kinder unter 14 Jahren beobachten. In der großen Koalition war eine solche Regelung auf Bundesebene am Widerstand der SPD gescheitert. Auch die Grünen waren bislang dagegen.

      Das islamistisch-terroristische Personenpotenzial in Deutschland wird vom Verfassungsschutz auf 1870 Personen geschätzt. Rund 950 Islamisten sind Richtung Syrien/Irak ausgereist, einige wieder zurückgekehrt, zumeist Männer, selten Frauen. Von 600 Dschihadisten weiß man nicht, wo sie sich aufhalten und ob sie womöglich in den Kämpfen in den vergangenen Tagen gestorben sind. Davon sind laut Verfassungsschutz 20 Prozent weiblich; fünf Prozent waren zum Zeitpunkt der Ausreise selbst minderjährig. Wenn sie nicht in die Kämpfe eingegriffen haben, kann man die Frauen kaum strafrechtlich belangen. Sie waren nur Hausfrauen und Mütter.