Berlin/Cuxhaven. Parteichef Martin Schulz macht schon wieder Wahlkampf, aber nach seinen entblößenden Bekenntnissen wächst der Unmut in seiner SPD.
Martin Schulz muss schon wieder kämpfen, nicht nur um Wähler. Zehn Tage nach seiner verheerenden Niederlage als SPD-Kanzlerkandidat läutete der Parteichef am Mittwochabend in der Kugelbakehalle in Cuxhaven mit einer Rede den Start der heißen Phase im niedersächsischen Landtagswahlkampf ein. Vor rund 700 Zuschauern gab er sich kämpferisch und betonte die Einheit der Partei, die er „selten so geschlossen“ gesehen habe. Gleichzeitig gab er aber auch zu, wie sehr ihn das Ergebnis der Bundestagswahl getroffen habe. „Ich habe alles gegeben“, sagte er. „Und wenn du dann so ein Wahlergebnis einfährst, dann bist du erstmal down.“
Den kämpferischen Sound kennt man vom missglückten Bundestagswahlkampf, aber in Niedersachsen hat die Botschaft von der Geschlossenheit immerhin eine realistische Basis: Dort hat die SPD in Umfragen ihren Rückstand zur Union fast aufgeholt. Ein Sieg bei der Landtagswahl am 15. Oktober wäre ein Lichtblick für die SPD. Und für Schulz: Halten sich die Sozialdemokraten wenigstens in Niedersachsen an der Macht, würden sich vielleicht seine Chancen verbessern, doch über den Dezember hinaus Parteichef zu bleiben.
Martin Schulz war geplagt von Selbstzweifeln
Nur: Gut wären die Aussichten für ihn auch dann nicht. Der Rückhalt in der Partei für den als Kanzlerkandidaten krachend gescheiterten Vorsitzenden bröckelt. Schon vergangene Woche mehrten sich die Zweifel, ob Schulz der Richtige für die versprochene Erneuerung der Partei ist – oder ob er nicht besser beim Parteitag im Dezember den Weg freimacht.
Jetzt nimmt das interne Gemurre zu, weil Schulz ungeahnt peinliche Einblicke in seinen Wahlkampf erlaubt hat: Eine „Spiegel“-Reportage belegt, dass Schulz schon seit Juli die Bundestagswahl verloren gegeben hatte und von großen Selbstzweifeln geplagt war. Der Text ist ein Dokument der Hoffnungslosigkeit, aber auch eines bizarren Wahlkampf-Theaters, mit dem der Kandidat die eigenen Anhänger täuschte.
„Wir sind im freien Fall, vielleicht bin ich auch der falsche Kandidat“
Schulz hatte einem Reporter des Magazins die Gelegenheit gegeben, ihn ein halbes Jahr aus nächster Nähe zu beobachten, auch bei internen Besprechungen und Strategieberatungen. Die Bedingung war, dass der Bericht erst nach der Bundestagswahl erscheint. Die Reportage bestätigt mit Originalzitaten: Spätestens nach der verlorenen NRW-Wahl im Mai hat Schulz die Hoffnung aufgegeben, die Kanzlerin besiegen zu können. „Wir sind im freien Fall, vielleicht bin ich auch der falsche Kandidat“, sagte der SPD-Chef vor Mitarbeitern Anfang Juli. „Die Leute sind nett zu mir, aber sie sind es aus Mitleid.“ Er habe nicht „den Hauch einer Chance“ zu gewinnen.
Immer wieder äußert Schulz Wut und Selbstzweifel, weil die Umfragewerte für die SPD weiterhin sinken. Wenige Tage nach dem TV-Duell Anfang September sagt er im kleinen Kreis: „Ich muss jeden Tag erklären, dass ich Kanzler werden will, und jeder weiß: Der wird niemals Kanzler. Die Leute finden mich peinlich. Die lachen doch über mich.“ Nicht nur auf den Marktplätzen erzählte Schulz etwas anderes, auch bei SPD-Funktionären nährte er Illusionen.
Nahles, Schwesig und Scholz können Nachfolge antreten
Insgesamt liegt jetzt ein schonungsloses Protokoll von monatelanger Ratlosigkeit, Unprofessionalität und Wehleidigkeit vor. Schulz mag nun menschlicher erscheinen, aber er hat rapide an Autorität verloren. Und an Glaubwürdigkeit. „Wie soll Schulz je wieder einen Aufbruch der Partei beschwören?“, fragt einer aus der engeren SPD-Führung. „Immer stünde der Verdacht im Raum, er spiele wieder nur Theater.“ In der Fraktion sagt ein Spitzengenosse: „Schulz hat sich selbst ins Knie geschossen – nach dieser Veröffentlichung ist er ein Vorsitzender auf Abruf.“ Andere Sozialdemokraten beziffern seine Chancen auf Bestätigung im Parteteiamt auf deutlich unter 50 Prozent.
Für den Fall, dass er stürzt, werden drei Namen für die Nachfolge genannt: Fraktionschefin Andrea Nahles sowie die beiden SPD-Vizes Manuela Schwesig und Olaf Scholz. Die besten Aussichten hätte wohl Scholz. Die in der SPD nicht durchweg beliebte Nahles muss sich erst als Fraktionschefin bewähren. Auch für Schwesig käme der Vorsitz zu früh, sie ist gerade erst Ministerpräsidentin geworden.
Wenn sich kein Konkurrent aus der Deckung wagt, dürfte Schulz um das Amt kämpfen. Die Durchhalteparolen hat er bereits ausgegeben: Schon bei der Bundestagswahl 2021 könne die SPD „wieder erfolgreich“ sein.
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