Berlin/Ankara. Der deutsche Schriftsteller Akhanli ist wieder frei. Trotzdem verschärfen sich die Spannungen zwischen Deutschland und der Türkei.

Das Klima zwischen Deutschland und der Türkei verschlechtert sich. Doch neben den neuesten Provokationen aus Ankara gibt es jetzt immerhin einen Lichtblick: Der auf Betreiben der Türkei in Spanien festgenommene deutsche Schriftsteller Dogan Akhanli ist nach einem Tag Haft wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Sigmar Gabriel zeigten sich am Sonntag erleichtert. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet äußerte gegenüber der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ die Hoffnung, „dass unser Landsmann aus Köln so schnell wie möglich als freier Mann nach NRW zurückkehren kann“.

Das wird dauern: Der Schriftsteller muss zunächst in Madrid bleiben, sich wöchentlich bei der Polizei melden, das von der Türkei angestrengte Auslieferungsverfahren bleibt in den Händen der spanischen Justiz. Schon deshalb kann von Entspannung keine Rede sein. Merkel warnte die Türkei, sie dürfe internationale Organisationen wie Interpol nicht missbrauchen. Aber erleichtert ist die deutsche Politik bereits, wenn im deutsch-türkischen Verhältnis ein Tag ohne weitere Eskalation vergeht.

Die jüngsten Äußerungen und Vorstöße aus Ankara hatten in den vergangenen Tagen die Krise massiv angeheizt. Die Empörung in Berlin ist groß: „Die türkische Regierung will offenbar die Beziehungen zu Deutschland aus innenpolitischen Gründen systematisch zerstören“, sagte Unionsfraktionschef Volker Kauder dieser Zeitung. „Deutschland wird hier nicht mitmachen. Doch auch für uns gibt es klare Grenzen.“

Erdogan wettert gegen Sigmar Gabriel

Erst hatte Präsident Recep Tayyip Erdogan die Deutschen türkischer Herkunft dazu aufgerufen, bei der Bundestagswahl nicht CDU, SPD oder Grüne zu wählen. Als Gabriel daraufhin gegen den Eingriff in die Souveränität Deutschlands protestierte, legte Erdogan am Samstag nach: „Wer sind Sie denn, um den türkischen Präsidenten anzusprechen?“, rief Erdogan an die Adresse Gabriels vor Anhängern bei einer Veranstaltung in Denizli. „Welche politische Erfahrung haben Sie, wie alt sind Sie? Erkennen Sie Ihre Grenzen.“ CDU, SPD und Grüne seien „Feinde der Türkei“, denen „die beste Lektion erteilt“ werden müsse, schimpfte Erdogan.

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    Wie ernst es der Präsident meint, zeigte dann am Sonnabend der Versuch, einen Kritiker mit deutschem Pass in Spanien verhaften und in die Türkei ausliefern zu lassen. Der türkischstämmige Kölner Autor Dogan Akhanli, der in seinen Arbeiten auch den Völkermord des Osmanischen Reiches an den Armeniern thematisiert hat, war während seines Urlaubs im andalusischen Granada festgenommen worden.

    Seine Festnahme erfolgte nicht über einen Auslieferungsantrag, sondern auf der Grundlage einer „Red Notice“, die von den türkischen Sicherheitsbehörden bei Interpol eingereicht wurde. Damit kann ein Interpol-Mitglied andere Länder dazu auffordern, eine gesuchte Person ausfindig zu machen und vorläufig festzunehmen.

    Dem deutschen Schriftsteller droht in der Türkei die Verfolgung

    Akhanli wird, wie so vielen Kritikern Erdogans, die Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrorgruppe vorgeworfen. Er hatte nach dem Militärputsch 1984 zwei Jahre im Militärgefängnis gesessen, lebt seit 1991 in Deutschland. 2011 wurde er in Abwesenheit in einem Prozess wegen angeblicher Beteiligung an einem Raubmord 1989 zunächst freigesprochen, später hob ein Berufungsgericht den Freispruch wieder auf. Der Schriftstellerverband PEN klagt, ein offenbar politisch motiviertes Strafverfahren werde als Grund für den Haftbefehl vorgeschoben; zum Zeitpunkt des angeblichen Raubüberfalls sei der Autor nachweislich nicht in der Türkei gewesen.

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      Akhanli wusste, dass ihm in der Türkei Verfolgung droht, aber dass Erdogan seine Kritiker auch im Ausland verfolgen lässt, ahnte er wohl nicht. Allerdings ist es nicht der erste Fall: Anfang August nahm die spanische Polizei auf türkisches Betreiben schon den türkisch-schwedischen Journalisten und Buchautor Hamza Yalcin bei der Einreise fest – ihm werfen die türkischen Behörden terroristische Aktivitäten und die Beleidigung Erdogans vor.

      Im Fall ­Akhanli hatte Außenminister Gabriel umgehend seinen spanischen Amtskollegen gebeten, dass Deutschland in das Verfahren einbezogen und der Autor nicht ausgeliefert wird. Ausgestanden ist der Fall noch nicht. 40 Tage haben die türkischen Behörden jetzt Zeit, einen Auslieferungsantrag zu stellen. Die spanische Justiz wird ihn prüfen, in letzter Instanz müsste die spanische Regierung über eine Auslieferung entscheiden.

      Linke-Fraktionschef Bartsch stellte die Nato-Mitgliedschaft infrage

      Gabriel zeigte sich aber am Sonntag „sicher, dass eine Auslieferung nicht erfolgen wird“. Dass die spanische Justiz ­Akhanli überhaupt festgenommen habe, beruhe auf einem unterschiedlichen Umgang mit Festnahmegesuchen über die Internationale Polizeibehörde Interpol. Politische Motive stünden bei dem Fall im Vordergrund. Unionsfraktionschef Kauder forderte: „Es muss alles getan werden, dass Herr Akhanli an die Türkei nicht überstellt wird.“ Es dürfe „nicht noch weitere Opfer der politisch motivierten Justiz geben“.

      Kauder verlangte zudem von Ankara, die Verfolgung von Deutschen zu beenden: „Die in der Türkei inhaftierten Journalisten müssen freikommen.“ Der CDU-Politiker wandte sich auch an die Deutschen mit türkischen Wurzeln: „Lassen Sie sich von niemandem von außen beeinflussen! Deutschland ist Ihr Land!“

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        Nicht nur Kauder ist empört. Die Grünen etwa forderten, die polizeiliche Zusammenarbeit der EU mit der Türkei neu zu bewerten, damit Gegner des Regimes nicht einfach ungeprüft als Kriminelle verhaftet werden könnten. Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch stellte die Nato-Mitgliedschaft der Türkei infrage. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz warf Erdogan in der „Welt am Sonntag“ vor, er versuche die türkischstämmigen Gemeinschaften in anderen Ländern zu instrumentalisieren und trage so heimische Probleme in die EU. SPD-Chef Martin Schulz sagte der „Bild am Sonntag“, das Verhalten Erdogans „trägt inzwischen paranoide Züge“.

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        Die jüngsten Ereignisse zeigen: Erdogan mobilisiert alle Mittel, um seine Gegner hinter Gitter zu bringen. Für seine wiederholten Tiraden gegen deutsche Politiker – bereits im Frühjahr hatte er Bundeskanzlerin Angela Merkel „Nazi-Methoden“ vorgeworfen – haben die meisten Beobachter keine rationale Erklärung. Man weiß, dass der 63-Jährige Diabetiker ist. Das könnte abrupte Stimmungsschwankungen und Zornesausbrüche erklären, sagen Mediziner.

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          Gabriel richtet sich darauf ein, dass die seit Kurzem härtere Gangart Deutschlands gegenüber der Türkei langfristig fortgesetzt werden muss. „Wir dürfen nicht glauben, in ein paar Wochen ist das erledigt“, sagte er der dpa. Der türkischen Regierung werde ihr Verhalten langfristig nichts nutzen, glaubt Unionsfraktionschef Kauder: „Die Buchungen für Urlaubsreisen deutscher Touristen sind bereits zurückgegangen.“ Er persönlich werde derzeit in der Türkei keinen Urlaub machen, betonte Kauder. Und dass sich die Wirtschaftsbeziehungen angesichts des politischen Klimas positiv entwickeln könnten, halte er für „ausgeschlossen“.