Ingolstadt. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz versucht, auf einer Sommertour die Stimmung noch zu drehen. Doch der G20-Streit überlagert derzeit alles.

Nah bei den Menschen will Martin Schulz als SPD-Wahlkämpfer sein, beim Gang durch das Audi-Werk in Ingolstadt lässt er kaum eine Gelegenheit aus. In der blitzsauberen, hoch automatisierten Montagehalle sind zwar nur wenige Arbeiter beschäftigt, aber Schulz läuft auf beinahe jeden zu, den er zu Gesicht bekommt.

Händeschütteln, ein Knuff in die Seite, Arm um die Schulter – die Kameras klicken, während Schulz den Arbeitern im Maschinenlärm Fragen stellt wie „Was macht ihr hier?“ oder einfach „Läuft?“ Als er hört, dass eines der Fahrzeuge für den Export nach Frankreich vorbereitet wird, ruft er: „Da sag ich gleich Macron Bescheid.“ Noch ein Foto, Knuff-Knuff. Schulz ist ein Menschenfänger, blitzschnell hat er Nähe hergestellt.

Aber dann ist plötzlich Schluss mit dem entspannten Wahlkampf vor laufenden Kameras. Der Kanzlerkandidat zieht sich mit dem Betriebsrat zum Gespräch in einen Glaspavillon zurück. Da gibt der Kanzlerkandidat unvermittelt Einblick in sein Inneres: „Die Journalisten begleiten mich doch nicht, weil sie mich so nett finden“, beklagt er sich bei den Gewerkschaftern, „sondern weil sie auf einen Fehler von mir warten.“ Alle wollten nur wissen: Steht der Mann noch – angesichts der schlechten Umfragen?

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    Martin Schulz steht schwer unter Druck

    Steht Schulz? Dies hier ist erst der Anfang einer Sommerreise, die den SPD-Kanzlerkandidaten eine Woche lang durch Bayern, Nordrhein-Westfalen und nach Hamburg führen wird. Eigentlich eine gute Gelegenheit, vor der heißen Wahlkampf-Phase Kampagnen-Motive zu testen und nette Bilder zu produzieren. Aber schon zu Beginn wird klar: Der SPD-Kanzlerkandidat steht schwer unter Druck, er spürt die Last, er weiß, dass er keine Fehler mehr machen darf.

    In den Umfragen liegt die Union meilenweit vor der SPD, auch das geschickt in Etappen präsentierte Wahlprogramm hat daran nichts geändert. Hinter verschlossenen Türen geht er auf die schwierige Stimmungslage ein, er wischt mit der Hand über den Tisch: „Die Umfragen sagen gar nichts.“ Die Mehrheit der Bürger sehe die Wahl als noch nicht entschieden an, ein Drittel sei unentschlossen. Und niemand soll an seinem Kampfgeist zweifeln: „Ich bin“, versichert der SPD-Chef den Betriebsräten, „ein Streetfighter“.

    Die G20-Nachwehen belasten Schulz

    Aber was hilft ihm der Kampfgeist angesichts der aktuellen Lage, in der sich die SPD mit dem Problem realer Straßenkämpfer auseinandersetzen muss? Die Krawalle am Rande des G20-Gipfels, für die sich nun auch Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) verteidigen muss, verfolgen Schulz. Aus der Union wird der SPD vorgehalten, sie habe den Linksextremismus jahrelang verharmlost.

    Anfangs warnt Schulz vor kleinlichen Scharmützeln der Parteien, doch zunehmend hat er auf seiner Tour den Eindruck, die Kanzlerin spiele auf Kosten der SPD ein Spiel mit verteilten Rollen. Angela Merkel selbst stellt sich hinter den Bürgermeister und SPD-Vize Scholz – doch die zweite Reihe der Union geht gezielt auf die Sozialdemokraten los.

    Beim Thema Sicherheit kann die SPD viel verlieren

    Schulz ärgert sich, aber er ahnt wohl auch, dass die SPD auf dem falschen Fuß erwischt wird: Beim Thema innere Sicherheit kann sie wenig gewinnen, aber – wie zuletzt in Nordrhein-Westfalen – viel verlieren. Den scharfzüngigen Fraktionschef Thomas Oppermann, der zu gern den „roten Sheriff“ der SPD geben würde, hat Schulz im Wahlkampf auf das Feld der Verteidigungspolitik abgeschoben.

    Er hat stattdessen den niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius (SPD) zu seinem Mann für die innere Sicherheit berufen, doch Pistorius kann sich außerhalb seines Bundeslandes nur schwer Gehör verschaffen. So redet sich Schulz nun von Auftritt zu Auftritt selber in Rage. Am Ende, im Garten von Schloss Nymphenburg, attestiert er Innenminister Thomas de Maizière (CDU) „dumme Sprüche“. Und der Kanzlerin wirft er vor, sie habe beim G20-Gipfel nur „magere Ergebnisse“ erzielt.

    Schulz’ Zukunftsplan für Deutschland

    Es sind wohl auch Momente wie dieser, in denen sich Schulz bestätigt sieht in seiner Entscheidung, als SPD-Chef kein Ministeramt zu übernehmen. Das führt zwar einerseits dazu, dass die CDU-Vorsitzende und der SPD-Chef so gut wie keinen Kontakt haben – auch dann nicht, wenn es hilfreich wäre. Aber Schulz kann Merkel einfacher und schroffer angreifen.

    Und die Konfrontation ist das, was ihn jetzt retten soll. Kämpfen, durchhalten, auf eine Chance warten: Das ist der Plan des SPD-Kanzlerkandidaten, auch wenn dafür nur noch gut zwei Monate Zeit sind bis zur Wahl am 24. September, Sommerferien inklusive. Am Sonntag wird der SPD-Vorsitzende bei einem Auftritt in Berlin einen Zukunftsplan für Deutschland vorlegen, in dem er seine Ideen zu Wirtschaft, Bildung und Europa präzisiert. Dann will Schulz weiter durch das Land reisen – und über gezielte Polarisierung die eigene Parteibasis und die Stammwählerschaft mobilisieren.

    Die SPD-Strategen hoffen auf die Innenpolitik

    Die entscheidende Etappe dürfte nach dem Kalkül der SPD-Strategen erst mit dem Fernsehduell am 3. September beginnen. Merkel, die im Moment auf der internationalen Bühne Punkte beim heimischen Publikum macht, müsse dann endlich in der Innenpolitik Farbe bekennen, so die Erwartung der Genossen. Marktplatz statt roter Teppich, Programm statt Gipfel-Inszenierung – da sei der Kanzlerkandidat klar im Vorteil, machen sie sich Hoffnung.

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      Im bayerischen Kösching hält Schulz, bevor er ein Feuerwehrfest besucht, schon mal eine kurze Rede auf dem idyllischen Marktplatz. Er dankt den Bürgern, die nicht nur im Job schuften, sondern nebenbei ehrenamtlich bei Feuerwehr, Sportverein und Flüchtlingshilfe aktiv sind. „Das sind diejenigen, die den Laden in unserem Land am Laufen halten.“ Eine der wesentlichen Botschaften seines Wahlkampfes werde sein, dass jeder Bürger, jede Familie „Würde und Respekt“ verdient hätten.

      Bringt Kösching den Stimmungsumschwung?

      Es sind vor allem die Mitglieder des SPD-Ortsvereins, die Schulz zuhören. In Kösching sind die Sozialdemokraten stark organisiert, die Gemeinde gilt als „rote Insel im schwarzen Meer“ des CSU-regierten Bayerns. Schon der damalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder hat hier Wahlkampf gemacht. Kösching sei Anfang August 2005 eine der ersten Stationen gewesen, wo er den von den Demoskopen lange ausgeblendeten Stimmungsumschwung gespürt habe, der ihm um ein Haar doch noch den Sieg gebracht hätte. „Die Resonanz gab mir eine ungeheure Motivation“, notierte Schröder in seinen Erinnerungen.

      Schulz wartet weiter auf den Stimmungsumschwung. Nur ironisch holt er sich Motivation. Der Kanzlerkandidat trägt sich wie einst Schröder ins Goldene Buch der Stadt ein, er findet Schröders Eintrag vom August 2005. „Der Gerd, wunderbar“, sagt Schulz, dann zitiert er einen bayerischen Genossen: „Es ist noch kein SPD-Politiker Kanzler geworden, der nicht in Kösching war.“ Schulz lächelt zufrieden: „Also, der erste Schritt ins Kanzleramt ist gemacht.“