Berlin. Geht es jetzt schnell? Im Bundestag könnte es noch diese Woche ein Votum über die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften geben.

Patrick Sensburg klingt resigniert. „Der Köcher der Möglichkeiten ist leer“, sagte der CDU-Rechtspolitiker unserer Redaktion. „Was soll man machen in der letzten Parlamentswoche? Die Koalition aufkündigen, die Regierung platzen lassen?“ Die Union wurde am Dienstag von ihrem Koalitionspartner kalt erwischt: Die SPD will eine Abstimmung über die „Ehe für alle“ erzwingen, für Sensburg ein „Koalitionsbruch aus Kalkül.“

Noch in der Juni-Ausgabe des Berliner Schwulen- und Lesben-Magazins „Siegessäule“ hatte SPD-Chef Martin Schulz bekannt, „CDU und CSU lehnen die Ehe für alle ab, und in einer Koalition kann man keine Politik gegen den Koalitionspartner machen“. Doch seit Montagabend hat sich die Geschäftsgrundlage geändert. Da plauderte CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Talkshow von „Brigitte“ aus, wofür sie unionsintern wirbt: Sie wolle die Diskussion „eher Richtung einer Gewissensentscheidung“ führen.

Merkel spricht von „Gewissensentscheidung“

Der Kanzlerin schwebt vor, dass wie bei anderen moralischen Fragen – Sterbehilfe, Stammzellenforschung – aus der Mitte des Parlaments heraus Gruppenanträge gestellt werden. Es wäre der Verzicht auf Fraktionsdisziplin und Koalitionsabsprachen – und das Versprechen einer offenen Abstimmung.

Schulz erkannte: Da geht was. Er beschloss, Merkel beim Wort zu nehmen, nicht irgendwann nach der Bundestagswahl im September, sondern sofort. Die „Ehe für alle“ könnte also schon bald Realität sein. Doch was heißt das konkret? Die wichtigsten Fragen im Überblick.

Wann kommt es zur Entscheidung?

Die SPD will eine Abstimmung in dieser Woche herbeiführen, vermutlich am Freitag. Die Christdemokraten sind empört. Ihr Fraktionschef Volker Kauder sprach am Dienstag von einem „Vertrauensbruch“. Die Kanzlerin ist zumindest befremdet über die Eile ihres Koalitionspartners. „Jetzt im Wahlkampf soll es holterdiepolter gehen“, bemerkte sie. Der Thüringer CDU-Abgeordnete Tankred Schipanski sprach gegenüber unserer Redaktion von einem „Seitenwechsel“. Auf die SPD sei kein Verlass mehr.

Nachdem der erste Ärger verraucht war, blickte Merkel wieder nach vorn. Sie will die Abstimmung freigeben. Aus der CSU erfährt sie dafür Unterstützung. Kauder rief seine Abgeordneten auf, in möglichst großer Zahl an der Abstimmung teilzunehmen. Wer eine völlige Gleichstellung der sogenannten Homo-Ehe mit der Ehe von Frau und Mann ablehne, solle respektvoll mit der Meinung der anderen umgehen.

Die SPD will auf einen Gesetzentwurf zurückgreifen, den ihre Länder 2015 mit Hilfe von Grünen und Linken im Bundesrat durchgesetzt haben. Gemeinsam könnten sie jetzt auch im Bundestag die Union überstimmen. Aber ist es wirklich möglich, eine erste Lesung, eine Anschlussberatung, Anhörung und zweite Lesung in nur vier Tagen unterzubringen? Der Bundestag tagt allerdings noch einmal am 5. September, eigentlich nur zur Haushaltberatung. Der Parlamentarier könnte zur Not bei dieser Gelegenheit noch über die „Ehe für alle“ befinden.

Wie unterscheiden sich die Positionen der Parteien

SPD, Grüne, Linke ziehen an einem Strang. In ihrem Gesetzentwurf heißt es, „die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen“. Damit wären alle Lebensgemeinschaften gleichgestellt. Auch programmatisch sind die Positionen identisch und mit der FDP kompatibel, die nicht im Bundestag sitzt. Mehr noch: Alle vier Parteien machen eine Einigung über eine „Ehe für alle“ zur Bedingung für eine Koalition.

Die Union ist isoliert und zerrissen. Ihre Basis gilt als konservativer als die Führung, wo es namhafte Befürworter der „Ehe für alle“ gibt, allen voran Präsidiumsmitglied Jens Spahn. Bezeichnend ist, dass sowohl Merkel als auch CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt offenlassen, wie sie persönlich abstimmen werden.

Was denkt die Bevölkerung?

In Umfragen spricht sich die große Mehrheit der Deutschen regelmäßig für die Ehe für alle aus. Immerhin 75 Prozent waren es bei einer Umfrage von Emnid noch im April.

Warum ist die „Eingetragene Lebenspartnerschaft“ noch keine Ehe?

Die eingetragenen Partnerschaften wurden im August 2001 eingeführt. Schwule und lesbische Paare konnten danach erstmals nach dem Gesetz heiraten. Im Laufe der Jahre sind ihre Rechte und Pflichten denen herkömmlicher Ehen angeglichen worden, beispielsweise im Steuerrecht.

Aber noch immer gibt es Nachteile gegenüber der traditionellen Ehe. Sichtbar werden sie besonders bei der Adoption eines Kindes: Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft dürfen kein fremdes Kind adoptieren. Erlaubt ist die sogenannte Sukzessivadoption eines Stiefkinds. Dabei ist derjenige, der die Adoption erklärt, mit einem Elternteil des Adoptivkindes verheiratet oder verpartnert. Außerdem hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass ein im Ausland von einem homosexuellen Paar adoptiertes Kind in Deutschland geschützt ist. Diese Adoption wird anerkannt.

Haben schwule und lesbische Paare weitere Nachteile?

Der Grünen-Politiker Volker Beck führt darüber Buch, er hat eine lange Liste mit 50 Punkten erstellt. Ehepartner haben es leichter, eingebürgert zu werden. Standesbeamte haben nur bei einer Eheschließung eine „Mitwirkungspflicht“: Sie dürfen sie nicht verweigern, bei einer eingetragenen Lebenspartnerschaft im Umkehrschluss aber schon.

Und: Ehen können geschieden werden, Lebenspartnerschaften werden nur aufgehoben – ohne dass daraus rechtliche Konsequenzen folgen.

Wenn die „Ehe für alle“ kommt: Darf man bald auch Geschwister heiraten – und mehrere Ehen führen?

Nein. Beides ist nicht erlaubt, weder die Vielehe noch die Verwandtenehe.

Was wollen die Kirchen?

Die Meinungen der beiden großen Konfessionen könnten unterschiedlicher kaum sein. 19 von 20 evangelischen Landeskirchen segnen inzwischen homosexuelle Paare öffentlich. Sie vertreten die Haltung, dass mit der Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften keine Entwertung der Ehe verbunden sei. Allein die Württembergische Landeskirche sieht es innerhalb der Protestanten anders.

Doch in der Evangelischen Kirche herrscht Unmut über die Schnelligkeit, in der in Berlin eine Entscheidung fallen soll. Ein Sprecher der EKD sagte unserer Redaktion: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Es ist bedauerlich, dass diese Frage jetzt unter dem Zeitdruck einer zu Ende gehenden Legislaturperiode entschieden werden soll.“

Auch die römisch-katholische Kirche ist gegen die „Ehe für alle“. Der Berliner Erzbischof Heiner Koch sagte, die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare sei ein Bruch mit dem Jahrhunderte alten Eheverständnis und würde eine qualitative Neuausrichtung des Begriffs Ehe bedeuten. Dass zwischen Ehen heterosexueller Paare und den Lebensgemeinschaften für gleichgeschlechtliche Paare unterschieden werde, bedeute aus seiner Sicht keine Diskriminierung. Auch sei die Auffassung „keinesfalls homophob motiviert“, sondern trage „der Unterschiedlichkeit der Lebensformen adäquat Rechnung“.

Hat sich Merkel verkalkuliert?

Ihre Selbstisolation war für die Union ein Dilemma. Eine Option wäre es gewesen, sich die eigene Position in Koalitionsgesprächen abverhandeln zu lassen. Der Vorschlag, die „Ehe für alle“ als „Gewissensentscheidung“ zu behandeln, erschien Merkel klüger – quasi der geordnete Rückzug. Er böte dem konservativen Flügel der CDU die Chance, in einer freien Abstimmung mit wehenden Fahnen unterzugehen. Bis Schulz auf den Plan trat. Und Fakten schaffte.