Berlin/Dortmund. Über tausend Änderungsanträge der Basis liegen dem SPD-Programmparteitag vor. Viele davon sind gut gemeint – haben aber keine Chance.

Den Genossen vom SPD-Landesverband Berlin stand offenbar der Sinn nach Witzemachen. Sie beantragten, im „Kapitel IV.6“ des Leitantrags zum Bundesparteitag der SPD am kommenden Sonntag in Dortmund, wo es um das „Recht auf anonymes bargeldloses Bezahlen“ für Verbraucher geht, einen Satz hinzuzufügen. Nämlich: „In diesem Sinne darf das bargeldlose Bezahlsystem nur zwischen 20:00 und 6:00 morgens in Betrieb sein – angelehnt an das Musterbeispiel des Jugendschutzes: Die Zeitsperre der ARD-Mediathek.“

Zur Sicherheit hatten die Berliner ihre Anregung mit dem Zusatz „Scherzantrag“ versehen – damit kein Delegierter auf die Idee kommt, der Vorstoß könnte ernst gemeint sein. Die Kommission, die über alle Änderungsanträge zum Regierungsprogramm der Partei befinden muss, beschied in ihrer Empfehlung zum Umgang mit dem Antrag humorlos: „Nichtbefassung.“

Anträge, die durch den Rost fielen

Doch so einfach ist das in der Regel nicht. Rund tausend Änderungsanträge der Parteibasis liegen der Kommission vor. Weil die Diskussion über jeden davon den Rahmen für den Parteitag am Sonntag sprengen würde, hat das Gremium unter Vorsitz des Hamburger Regierenden Bürgermeisters Olaf Scholz schon mal vorab eine ganze Reihe von Vorschlägen aussortiert.

Eine Auswahl der Anträge, für die die Kommission den Delegierten kommentarlos „Ablehnung“ empfiehlt.

1. Matrosen. Dem Ortsverein Hamburg-Fuhlsbüttel liegt – wen wundert’s – die Seefahrt am Herzen. Die Sozis von der Waterkant wollen vor allem, dass die gute, alte Zeit nicht untergeht. Deshalb fordern sie: „Im Bundeswahlprogramm wird sich die SPD für den Erhalt des maritimen Erbes und der Traditionsschifffahrt in Deutschland einsetzen.“ Die Kommission aber befand den Antrag eines Regierungsprogramms nicht würdig. Fuhlsbüttel Ahoi!

2. Azubis. Die Arbeitsgemeinschaft der Jusos denkt an die betriebliche Ausbildung. „Wir wollen eine Übernahmegarantie nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung einführen“, lautet einer der Vorschläge fürs Regierungsprogramm. Nicht nur die Unternehmer in der SPD dürften damit ihre Probleme haben.

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    3. Schlaufüchse. Für das Kapitel des Programms, in dem die SPD den „starken Sozialstaat“ anmahnt, hat sich der Unterbezirk Cuxhaven etwas überlegt. Die Mitglieder wollen, dass dort zu lesen steht: „Wir werden eine Bildungs- und Teilhabekarte einführen (Schlaufuchs-Karte), die vom Sozialamt monatlich geladen wird, und über die kulturelle oder sportliche Angebote abgebucht werden können.“ Der Kommission ging das wohl zu weit – auch die Cuxhavener blitzten bei ihr ab.

    4. Ossis. Der Unterbezirk Dresden sorgt sich um die Ostdeutschen. Deswegen wollen die Sachsen einen Passus unterbringen, der auf die „konkrete Lebenssituation der Menschen in den ostdeutschen Bundesländern“ hinweist: ihre „gefühlte Entwurzelung“, das Fremdeln mit der „neuen Wirtschafts- und Werteordnung“ im vereinigten Deutschland, die sich bei Löhnen und Rente zeige. Fazit: „Dieser Ausprägung und Entwicklung müssen wir begegnen.“ Allerdings: Der Antragskommission erschien das im Jahr 28 nach dem Mauerfall anscheinend nicht mehr zeitgemäß.

    5. Naturfreunde. Ökostrom finden alle toll – Windräder dagegen nicht unbedingt. Die Sozialdemokraten vom Ortsverein Heimbach in der Eifel – der Ort nennt sich stolz „Nationalparkstadt“ – will deshalb im Regierungsprogramm festschreiben, die SPD werde „keine Windräder in den Wäldern und in dem schützenswerten Naturraum zulassen“. Neue Windkraftanlagen würden künftig nur noch „unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Belange bei Lärm, Infraschall und optischer Bedrängung genehmigt“. Ist der Vorschlag der Kommission womöglich zu grün?

    6. Leiharbeiter. SPD-Parteitage sind Hoch-Zeiten der reinen sozialdemokratischen Lehre. Da darf dann gern auch mal ein bisschen Pathos sein. Das fand offenbar auch der Unterbezirk Lüneburg aus Niedersachsen, der gleich reihenweise Ausrufezeichen-Sätze anmahnt. Das liest sich dann so: „Leiharbeitsfalle! Da kommt man nicht wieder raus! Keine Sanktionskonsequenzen bei Ablehnung von Leiharbeitsangeboten durch Jobcenter oder Bundesagentur für Arbeit!“ Ein brisantes Thema – doch vielleicht ein bisschen zuviel Pathos.

    7. Schulminister. Dem Ortsverein Mannheim-Lindehof liegt das Thema Bildung am Herzen. Deshalb solle „ein nationaler Schulminister für eine gute Ausstattung der Schule sorgen und einheitliche Bildungsstandards ermöglichen“. Ein interessanter Ansatz – allerdings würde dadurch unser föderales System, in dem das Thema Schule Ländersache ist, über den Haufen geworfen. Und das wäre selbst für die SPD eine Nummer zu groß.