Manchester. Menschen in Manchester trauern um die toten Konzertbesucher. Viele legen Blumen nieder. Und alle wollen nun stärker zusammenrücken.

Auf einer Bank am St Ann’s Square sitzen Karen Orchard und ihre Tochter Amelie. Die 15-Jährige schaut auf den Boden, sodass man von ihr nur ihre rot gefärbten Haare sieht. „Ich war beim Konzert“, sagt die Schülerin und weiß dann nicht, wo sie anfangen soll. Also erzählt ihre Mutter: „Ich warte normalerweise immer am oberen Ende der Treppe am Foyer der Arena auf sie, nur dieses Mal hatte ich einen langen Tag und wollte keine Stufen steigen.“ Dann hörte sie den lauten Knall. „Ich wusste sofort, das war eine Bombe.“

Sie wischt sich Tränen von den Wangen. Dann sagt sie, dass sie sonst nie weine. „Ich hatte Glück. Amelie tippte mir zwei Minuten nach dem Knall auf die Schulter. Sie hatten einen anderen Ausgang genommen, als den, den wir vereinbart hatten.“

„Manchester wird stark bleiben“

Der St Ann’s Square ist kein großer Platz, er liegt etwas abseits der breiten Hauptstraßen von Manchester. In dessen Mitte steht eine Statue von Richard Cobden, ein britischer Intellektueller, der sich Mitte des 19. Jahrhunderts für Abrüstung und gegen Krieg einsetzte. An diesem Platz in der Nähe der Manchester Arena legen die Menschen Blumen nieder für die Opfer vom Montagabend. Jemand hat mit Kreide auf den Gehweg geschrieben: „Manchester wird stark bleiben“ – „stark“ mit roter Kreide. Immer wieder bleiben Menschen stehen, legen noch mehr Blumen dazu.

22 Tote und mehr als 60 Verletzte, darunter viele Kinder. Das ist die schreckliche Bilanz des Terrorattacke. Kurz vor dem Ende des Konzerts der US-Sängerin Ariana Grande zündete der Selbstmordattentäter Salman Abedi im Foyer der Manchester Arena die Bombe. Der „Islamische Staat“ (IS) reklamiert die Tat für sich. Der Täter sei ein „Soldat“ des IS gewesen, verkündete die Terrormiliz.

Angriff war Attacke auf die Zukunft des Westens

Viele Opfer befinden sich noch in einem kritischen Zustand, sagt Jan Rouse, Chef der örtlichen Gesundheitsbehörde. Einige von ihnen würden sehr lange brauchen, bis sie wieder ein einigermaßen normales Leben führen könnten. Ein Arzt sagt, dass Nägel in der Bombe gewesen seien.

Der Angriff auf die Kinder und Jugendlichen hat eine neue Qualität: Es war auch eine Attacke auf die Zukunft des Westens. Das jüngste Opfer: die achtjährige Saffie R. Der Täter war 22 Jahre alt, geboren 1994 in Großbritannien. Salman Abedis Eltern waren laut Medienberichten vor dem Gaddafi-Regime aus Libyen nach Großbritannien geflohen. Seit ein paar Jahren sollen sie wieder in ihrer Heimat wohnen. Sie sollen sehr religiös sein.

Täter lebte in einem roten Backsteinhaus

Die Elsmore Road in Manchester ist weiträumig abgesperrt. Hier soll Abedi in einem roten Backsteinhaus gewohnt haben. Er war laut Medienberichten in mehreren Wohnungen registriert. Eine Nachbarin sagt, sie kenne den Attentäter nicht. „Hier hat es noch nie Ärger gegeben.“ Viel weiß man nicht über den Mann, der die Bombe zündete. Es sind nur Bruchstücke, die noch kein vollständiges Bild ergeben: Abedi hat sein Wirtschaftsstudium an der Salford University in Manchester nach zwei Jahren aufgegeben.

Er war ruhig, unauffällig, lebte zurückgezogen, sagen Menschen, die ihn von früher kennen. Doch ein Imam erzählt: Als er 2015 in der Moschee Terrororganisationen kritisierte, guckte Abe­di ihn mit einem „hasserfüllten Gesicht“ an.

Die Abkürzung „MCR“ für Manchester ist überall zu sehen

Salman Abedi hatte keine Vorstrafen, doch der Geheimdienst war wegen seiner extremistischen Haltung auf ihn aufmerksam geworden. Er ist nach Libyen und wahrscheinlich auch nach Syrien gereist, hat sich dort radikalisiert. Und dann beschlossen, diesen Anschlag zu begehen. So erzählt es der französische Innenminister Gérard Collomb. Die Verbindung zum IS sei bewiesen, sagt er. In Großbritannien geht man davon aus, dass es nicht die Tat eines Einzelgängers gewesen sein kann. Die Sicherheitsbehörden sprechen von einem Netzwerk.

Einige Hundert Meter vom St Ann’s Square entfernt sitzt David Few vor einem Denkmal für die Opfer des Ersten Weltkriegs. Zwischen zwei Obelisken liegen auch hier Kerzen, Blumen und Zettel mit roten Herzen und der Abkürzung „MCR“ für Manchester. David Few, 31 Jahre alt, ist Religionslehrer. Sein Großvater starb bei einem Attentat der irischen Terrororganisation IRA. Few sagt, er musste seinen Schülern „das Unerklärliche erklären“.

„Ich konnte ihnen nur sagen, dass wir uns im Krieg befinden“

Fünf von ihnen besuchten das Konzert. Eine Schülerin wurde verletzt, hat eine Narbe am Kopf. „Sie hatte Glück“, sagt Few. Dann: „Es sind nur Kinder, verdammt noch mal.“ Fews Schüler wollten wissen, was einen 22-jährigen dazu treibt, sich in die Luft zu sprengen und Kinder mit in den Tod zu reißen. „Ich konnte ihnen nur sagen, dass wir uns im Krieg befinden.“