Berlin. Der SPD-Vorstand beschließt das Wahlprogramm und präsentiert damit einen Gegenentwurf zur Union. Doch konkrete Berechnungen fehlen.

Katarina Barley versagt am Montag kurz die Stimme, sie ist heiser. Doch es ist auch wahrlich ein harter Tag für die SPD-Generalsekretärin: Der Parteivorstand muss die SPD-Parteizentrale kurzzeitig räumen, mitten in den Beratungen über das Wahlprogramm. Ein Paket in der Postelle ist verdächtig, es entpuppt sich als Holzkasten.

Verwirrung gibt es auch um die Vorstellung des Wahlprogramms. Ein ursprünglich für den Montag vorgesehenes Pressegespräch wurde am späten Sonntagabend seitens der SPD abgesagt, am Montagmorgen wieder ins Programm genommen. Barley nennt kritische Berichte über die Terminabsage einen „medialen Spin“. Intern hört man durchaus das Wort „eigener Kommunikationsfehler“.

Parteivorstand präsentiert 71-seitiges Konzept

Und dann steht auf dem Parteiprogramm, das an Journalisten ausgeteilt wird, in roten Buchstaben: „Mehr Zeit für Gerechtigkeit.“ Der Slogan, mit dem der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz bislang unterwegs war, lautet eigentlich „Zeit für mehr Gerechtigkeit“.

SPD-Zentrale zeitweise geräumt

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    Lage bei der SPD entschärft: IIn der Parteizentrale der Sozialdemokraten in Berlin wurde ein verdächtiger Gegenstand gefunden, ein Holzkasten, wie sich heruausstellte.
    Lage bei der SPD entschärft: IIn der Parteizentrale der Sozialdemokraten in Berlin wurde ein verdächtiger Gegenstand gefunden, ein Holzkasten, wie sich heruausstellte. © dpa | Gregor Fischer

    Doch am Nachmittag kann Barley dann immerhin verkünden, dass der Parteivorstand das Wahlprogramm einstimmig beschlossen hat. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, der gemeinsam mit Barley und Familienministerin Manuela Schwesig das Programm präsentiert, nennt das 71-Seiten starke Konzept „vielleicht das Beste seit Willy Brandt“, ein „klares Kontrastprogramm“ zu CDU. Es soll Mitte Juni auf dem Parteitag diskutiert werden.

    Kanzlerkandidat Schulz äußert sich optimistisch

    Der Parteivorsitzende Martin Schulz zeigt sich derweil optimistisch, dass die SPD die Bundestagswahl gewinnen könne. Der einstimmige Beschluss des Wahlprogramms zeige, dass die SPD geschlossen sei, sagte Schulz im „RTL Nachtjournal“. „Ich glaube, dass es darum geht, dass wir nachweisen, dass wir dieses Land regieren können und dass wir seriös sind. Das werden wir jetzt in den kommenden Wochen vortragen. Deshalb haben wir uns sehr sorgfältig auf die Programmarbeit gestürzt und heute mit einem einstimmigen Beschluss dieses Programm verabschiedet. Deshalb bin ich ziemlich optimistisch.“

    Das sind die wichtigsten Punkte im SPD-Wahlprogramm:

    • Steuern

    Die SPD will ganz klar untere und mittlere Einkommen entlasten: „Die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer soll mehr Netto vom Brutto haben. Das ist unser Ziel“, heißt es auf Seite 29 des Programms. Auch soll das Ehegattensplitting zu einem „Familientarif mit Kinderbonus“ umgebaut werden, damit Eltern ohne Trauschein auch davon profitieren. Das Kindergeld soll künftig nach Einkommen gestaffelt ausgezahlt werden.

    Schwesig führt aus, dass der Spitzensatz von 42 Prozent erst später greifen soll. Das steht allerdings so nicht konkret im Programm, auch Details zur Finanzierung der Vorhaben fehlen noch gänzlich. Ob diese bis zum Parteitag in einem Monat drin stehen, ist mehr als fraglich. Man wolle „verlässliche, durchgerechnete und verfassungsfeste Vorschläge“ präsentieren, sagt Barley.

    „Die vier Monate bis zur Wahl können lang werden“, heißt es auch in der SPD-Zentrale, „Schulz muss auch noch Pulver trocken halten.“ Doch ob sich auf diese Weise der Streit ums Programm vermeiden lässt? Die Parteilinke hat bereits angekündigt, sich „intensiv in den Diskussionsprozess einzumischen“ – mit Vorschlägen, die weit über den Vorstandsentwurf hinausgehen.

    „Wir müssen klarmachen, für wen wir Politik machen und dass unsere Richtschnur die Solidarität der Starken mit den Schwachen ist“, sagt Hilde Mattheis, Vorsitzende des Forums Demokratische Linke 21 in der SPD. So will die Linke etwa den Spitzensteuersatz anheben oder die Vermögensteuer wieder einführen.

    • Rente

    Bei der Rente will die SPD das Modell von Arbeitsministerin Andrea Nahles umsetzen. Es sieht eine sogenannte doppelte Haltelinie vor – ein Absinken des Rentenniveaus soll verhindert, gleichzeitig eine Explosion der Beiträge vermieden werden. Diskutiert wird ein Rentenniveau von um die 48 Prozent, bei den Beiträgen ein Zielbereich von 22 bis 23 Prozent.

    Zu den Kosten sagt die SPD ebenfalls noch nichts, das soll bei einem gesonderten Termin von Schulz und Nahles ausgeführt werden. Auch hier gibt es Vorschläge der SPD-Linken: Diese will das Rentenniveau von heute 48 Prozent des Durchschnittslohns dauerhaft auf über 50 Prozent anheben, die Riesterrente auslaufen lassen und auch Beamte und Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen.

    • Bildung

    Die SPD will das Kooperationsverbot von Bund und Ländern bei der Bildung abschaffen. Der Bund müsse die Länder unterstützen, so die Generalsekretärin. Auch will die SPD die Bildungsgebühren von der Kita bis zur Hochschule abschaffen.

    • Migration

    In der Flüchtlingspolitik bekennen sich die Sozialdemokraten klar zum Asylrecht. „Das bleibt unangetastet“, sagt Oppermann. Doch man wolle schnellere Asylverfahren und eine deutlich konsequentere Rückführung abgelehnter Asylbewerber. Für freiwillige Rückkehrer soll es ein Förderprogramm geben.

    Beim Thema Familiennachzug bleibt es vage: „Familiennachzug und das Zusammenleben in der Familie tragen zu einer guten Integration bei“, heißt es lediglich. Das Sprachkursangebot für anerkannte Asylbewerber soll verbessert, ein Einwanderungsgesetz für Arbeitskräfte geschaffen und die Außengrenzen Europas besser geschützt werden, durch eine Stärkung des Grenzschutzes.

    • Innere Sicherheit

    Zum Schutz vor Alltagskriminalität müsse der Staat im Alltag präsenter sein, betont Oppermann. So fordert die SPD 15.000 neue Polizisten in Bund und Ländern, das Bundeskriminalamt soll als Koordinierungsstelle gestärkt werden. Der Staat müsse wehrhaft gegen Terroristen, Rechtsextreme und Kriminelle vorgehen: „Wir wollen, dass Straftäter in Deutschland die ganze Härte des Gesetzes spüren“, sagte der SPD-Fraktionschef.

    Für die Partei ein wichtiger Punkt, denn die Wahl in NRW hat gezeigt, wie wichtig den Menschen das Thema innere Sicherheit ist. Was die militärische Sicherheit angeht, so wenden sich die Sozialdemokraten gegen eine Erhöhung der Militärausgaben, die die Nato fordert. Doch weitergehende Forderungen der SPD-Linken, etwa den US-Atomwaffenabzug aus Deutschland und den Stopp von Waffenexporten, finden bislang keinen Niederschlag im Programm. Das sind Forderungen, die ein Bündnis mit der Linkspartei im Bund zwar erleichtern würden, dem Parteivorsitzenden aber große Schwierigkeiten bereiten können.

    Eigentlich ist auf dem Parteitag am 25. Juni gar keine längere Programmdebatte eingeplant – nur gut fünf Stunden sind für den gesamten Wahlkampf-Konvent vorgesehen, einschließlich der Rede des Kanzlerkandidaten samt Aussprache. Vielleicht hat Schulz sich darüber am Montag bereits Gedanken gemacht. Bei der Präsentation des Programms war er nicht anwesend. (mit dpa)