Berlin. Immer mehr Flüchtlinge wehren sich vor Gericht vor allem gegen ihren Status. Juristen fürchten eine Blockade der Verwaltungsgerichte.

Normalerweise beschäftigt sich die vierte Kammer am Berliner Verwaltungsgericht mit Wirtschafts- und Gewerberecht, Klagen bei Gaststätten- und Spielhallengenehmigungen. Nun liegt der Schwerpunkt im Asylrecht, sagt der Vorsitzende Richter Stephan Gros­curth. „Seit dem Spätsommer erleben wir einen massiven Anstieg von Asylverfahren“, sagt der Richter. Weil sie der Abschiebung entgehen wollen oder für sich den vollen Flüchtlingsstatus fordern, klagen bundesweit immer mehr Flüchtlinge vor Verwaltungsgerichten – und treiben die Zahl der Verfahren in die Höhe. Eine Klageflut, die die Verwaltungsgerichte zu lähmen droht.

Verdoppelte sich die Zahl der eingegangenen Verfahren schon 2016 auf bundesweit gut 181.000 Haupt- und Eilverfahren, gingen alleine im ersten Quartal 2017 rund 97.000 Asylklagen bei den Gerichten ein. Schon Ende März wurde damit die Hälfte der Verfahrenszahl des Vorjahres überschritten. Dies zeigen Zahlen der Landesjustizministerien, die dieser Redaktion vorliegen.

Richter warnen vor zu hoher Belastung für die Gerichte

Verwaltungsrichter schlagen Alarm: „Die Belastung für die Gerichte ist dramatisch. Der Zustand ist an vielen Verwaltungsgerichten kaum noch auszuhalten“, sagt Robert Seegmüller, Richter am Bundesverwaltungsgericht und Vorsitzender des Bunds deutscher Verwaltungsrichter (BDVR). Besonders stark ist der Anstieg in Hessen. In den ersten drei Monaten 2017 wurden dort 10.136 Asylklagen eingereicht. Im gesamten Jahr 2016 waren es 11.767 Eingänge. 85 Prozent der Vorjahreszahl wurden damit schon erreicht.

In Hamburg gab es 2017 bis März 2774 neue Verfahren nach 4447 Eingängen 2016. Berlin verzeichnet 2017 im ersten Quartal 5955 neue Asylklagen. Im Vorjahr waren es insgesamt 10.553 Asylverfahren. Das entspricht 62 beziehungsweise 56 Prozent der Gesamteingänge 2016. Für BDVR-Vorsitzender Seegmüller nicht das Ende der Entwicklung: „Es kommt eine gigantische Zahl von Fällen auf uns zu.“

Häufig klagen Flüchtlinge gegen ihren Aufenthaltsstatus

Zahlen über Klagegründe weisen die Verwaltungsgerichte nicht aus. In vielen Fällen klagen die Flüchtlinge jedoch gegen ihren Aufenthaltsstatus. Haben etwa syrische Asylbewerber 2015 fast ausschließlich Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten, gewährt ihnen der Staat seit 2016 meist nur noch subsidiären Schutz. Sie dürfen befristet in Deutschland bleiben, ihre Familien jedoch nicht nachziehen.

Ähnlich geht es Asylbewerbern aus Eritrea. Um ihre Familien nach Deutschland holen zu können, streiten viele nun vor Gericht für den Flüchtlingsstatus.

Die durchschnittliche Verfahrensdauer wird sich massiv erhöhen

Was die Klagewelle bedeutet, zeigt sich am Berliner Verwaltungsgericht. „Die Zahl der offenen Verfahren steigt extrem an“, berichtet Richter Gros­curth. Gab es zum 30. April 2016 noch 7971 nicht abgeschlossene Verfahren, sind ein Jahr später 19.719 Fälle offen. „Wir schieben einen Berg von Verfahren vor uns her“, sagt der Richter. „Die durchschnittliche Verfahrensdauer wird sich massiv erhöhen – auch in Bereichen, die nichts mit Asylverfahren zu tun haben.“

Die Situation trifft jeden, der gegen einen amtlichen Bescheid vor Gericht zieht. Um etliche Monate verzögern sich die Prozesse. „Die Verfahren blockieren die Verwaltungsgerichtsbarkeit“, sagt BDVR-Vorsitzender Seegmüller. „Das können wir als Gesellschaft nicht wollen.“ Die Justizminister der Länder haben bereits 2016 auf die gestiegene Verfahrenszahl reagiert und zusätzliche Richterstellen geschaffen. Das reiche jedoch nicht aus, sagt Seegmüller. Er fordert weitere Stellen.

Ein teurer Justizapparat ohne Aufgaben könnte zurückbleiben

Den Landesjustizministerien ist die Lage bekannt. Viele Verwaltungsrichter wollen sie jedoch nicht einstellen. „Die starke Belastung der Verwaltungsgerichte mit Asylverfahren stellt sich nach derzeitigem Stand als ein temporäres Phänomen dar“, sagte der Vorsitzende der Justizministerkonferenz, der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin (FDP), dieser Redaktion. „Sobald diese Welle an Verfahren erledigt sein wird, gehen wir von einer Normalisierung der Lage aus.“

Das Problem der Länder: Richter werden auf Lebenszeit eingestellt und können nicht versetzt werden. Stellen die Länder zu viele Verwaltungsrichter ein und die Verfahrenszahl ebbt ab, bliebe ein teurer Justizapparat ohne Aufgaben zurück.