Düsseldorf. Die Behörden hatten die Chance, Anis Amri vor seinem Anschlag in Berlin zu inhaftieren. Das sagt Innenminister Thomas de Maizière.

  • Der Minister kritisierte, dass Amri nicht schon im Oktober in Abschiebehaft genommen wurde
  • De Maizière sieht aber kein Fehlverhalten der Sicherheitsbehörden des Bundes
  • Amri hatte am 19. Dezember einen Lastwagen auf einen Berliner Weihnachtsmarkt gesteuert und zwölf Menschen getötet.

Der islamistische Attentäter Anis Amri hätte nach Ansicht von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vor dem Anschlag in Berlin verhaftet werden können. Spätestens Ende Oktober, nachdem Tunesien Amris Identität bestätigt habe, hätte mit guten Gründen ein Antrag auf Abschiebehaft gestellt werden können, sagte der Minister am Dienstag als Zeuge im Untersuchungsausschuss des NRW-Landtags zum Terrorfall. „Es wurde aber nicht einmal versucht.“

Auf den Hinweis, wonach Ende Oktober lediglich Interpol Tunis, nicht aber Tunesien Amris Identität bestätigt habe, schwächte de Maizière seine Aussage ab: „Man hätte wenigstens mal einen Antrag stellen sollen. Man hätte es versuchen müssen.“

De Maizière: „Geht nicht um Schuldzuweisungen“

De Maizière widersprach damit der NRW-Landesregierung, im Fall Amri „bis an die Grenzen des Rechtsstaats“ gegangen zu sein. Das Versäumnis liege aus seiner Sicht aber nicht bei Landesinnenminister Ralf Jäger (SPD), eher bei den kommunalen Ausländerbehörden, wobei er nicht wisse, welche in diesem Fall zuständig gewesen sei: Köln, Oberhausen oder Kleve. Es gehe ihm aber nicht um Schuldzuweisungen.

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    „Warum sollte eine Passersatzpapierbeschaffung bei geklärter Identität mehr als drei Monate dauern?“, fragte der Minister. Außerdem hätte die Drei-Monats-Frist in Amris Fall nicht gegolten, weil er mit seinen Scheinidentitäten selbst zur Verzögerung des Verfahrens beigetragen habe.

    Der nordrhein-westfälische Sonderermittler im Fall Amri, Bernhard Kretschmer, war zu einem anderen Schluss gekommen. Nach geltender Rechtslage habe Amri nicht inhaftiert werden können, hatte der Professor am Montag bei der Vorstellung seines Gutachtens ausgeführt. Die Opposition im NRW-Landtag hatte den Bericht als Auftragsgutachten der Landesregierung in Zweifel gezogen. „Dass man beim Aufenthaltsrecht unterschiedliche Rechtsauffassungen hat, ist nicht verwunderlich“, sagte de Maizière.

    Die gemeinsame Bewertung der Gefährlichkeit im Fall Amri durch das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum GTAZ sei im Nachhinein objektiv unzutreffend gewesen, „so bitter, wie das ist“, sagte der Minister. Die gesammelten Erkenntnisse hätten eher den Schluss zugelassen, dass er in die Kleinkriminalität abgerutscht sei.

    Diese Bewertung sei nachvollziehbar, sorgsam abgewogen und vertretbar gewesen. Ein schuldhaftes Versäumnis der Sicherheitsbehörden des Bundes könne er nicht feststellen. Die Zahl der Gefährder und der Gefahrenfälle, die im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum behandelt werden, habe sich in den vergangenen Jahren vervierfacht. Dies müsse Auswirkungen auf die Arbeitsmethoden haben.

    Sonderbeauftragter untersucht mögliche Fehler

    Amri hatte am 19. Dezember einen Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche gesteuert und zwölf Menschen getötet. Die Terrormiliz „Islamischer Staat“ hatte sich zu dem Terroranschlag bekannt und Amri als ihren Soldaten bezeichnet. Der war in Deutschland bereits Monate vor der Tat als islamistischer Gefährder eingestuft und beobachtet worden.

    Auch in Berlin wird ein Sonderbeauftragter das Handeln der Sicherheitsbehörden und mögliche Fehler vor dem Terroranschlag untersuchen. Der Berliner Senat beschloss am Dienstag die Berufung eines externen Fachmanns. Nach Informationen verschiedener Medien soll der pensionierte Bundesanwalt Bruno Jost die Position übernehmen. (dpa)